Artgrade your business! Mut zu neuen Dimensionen
Katharina Grosse veranschaulicht mit ihren farbmächtigen Rauminterventionen, wie wir die Grenzen des Gewohnten überschreiten und Neues wagen können.
«Wenn ich auf ein Bild blicke, was mir nicht bekannt ist, kann ich plötzlich etwas denken, was ich vorher nicht denken konnte. Ich kann mir Dinge vorstellen, die ich mir vorher nicht vorstellen konnte, die mich vorher nicht erreicht haben.» Das sagt eine der erfolgreichsten Künstlerinnen der Gegenwart, Katharina Grosse, und lädt damit ein, sich beim Betrachten von Kunst zu neuen Ideen inspirieren zu lassen. Die installativen Raumbilder der deutschen Künstlerin regen dazu an, Ungewöhnliches zu versuchen, und zwar im je eigenen Metier. Dazu braucht es Mut, die Grenzen des Alltäglichen zu überschreiten. Welche Möglichkeiten sich eröffnen, wenn wir gewohnte Handlungsabläufe hinter uns lassen, führt die Arbeitsweise von Katharina Grosse eindrucksvoll vor Augen. Die 1961 geborene Künstlerin nutzt Museumswände, Bahnhofshallen, Häuser, Strassenzüge und Strandpromenaden als Leinwand. Dabei entfacht sie ein Farbfeuerwerk, in welches das Publikum buchstäblich eintauchen kann.
Vom Pinsel zur Sprühpistole
Die Künstlerin begann in den 1990er-Jahren ihren Malprozess neu zu definieren. Anstatt mit einem Pinsel zu malen, sprühte sie die Farben mit einer Sprühpistole an Wände und überschritt damit die begrenzte Fläche der Leinwand. Eine ihrer ersten prominenten Arbeiten dieser Art war eine mit grüner Acrylfarbe besprühte Ecke in der Kunsthalle Bern im Jahr 1998. Damals stiess ihre Arbeitsweise auf Verwunderung – mittlerweile zählt Grosse zu den Stars der internationalen Kunstszene. Dabei lotet sie mit jedem Werk ihre künstlerische Handlungsmacht aufs Neue aus. Zentral ist dabei die Annahme, dass Malerei an allen Orten einen Platz finden, alles erobern und alles verändern kann. Vor nichts macht die Künstlerin Halt, sodass ihre expansiven Bilder zwischen grosser Sinnlichkeit und Aggressivität oszillieren.
Im Jahr 2020 etwa haben die Malerin und ihr Team in wochenlanger Arbeit im Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart, in Berlin ein gigantisches Gemälde realisiert, das sich von der historischen Halle des Hamburger Bahnhofs über den Vorplatz und das Aussengelände bis hin zu den 300 Meter langen Rieckhallen-Containern erstreckte. Beim Betreten der historischen Bahnhofshalle lag eine riesige, seeartige Farbfläche vor den Besuchenden, aus der sich am anderen Ende des Raumes bizarre, bis zu acht Meter hohe Polystyrolskulpturen erhoben. Auch diese hatte die Künstlerin mit Farben überzogen. Die scharfen Kanten, Rillen und Furchen der gebirgsartigen Styroporgebilde setzten den rhythmischen Farbflächen blickführende Linien und Konturen entgegen, wodurch das Werk eine zusätzliche Dimension erhielt.
Distanz schafft Überblick
Beim Betrachten von Katharina Grosses Megagemälden verschafft erst die räumliche Distanz einen Überblick. Zugleich laden ihre opulenten Werke ein, direkt darin einzutauchen und die Farben in all ihren Nuancen zusammen mit den verschiedenen Spuren des Malprozesses aus nächster Nähe wahrzunehmen. Katharina Grosse ist längst Unternehmerin, die auf die Mitarbeit ihres Teams angewiesen ist. Ihr Bruder, ein gelernter Maschinenbauingenieur, fungiert als technischer Leiter bei den Grossprojekten, daneben zählen Künstlerinnen und Künstler, Kunsthistorikerinnen und -historiker sowie eine Archivarin zu Grosses Produktionsteam. Die Farben, die Namen wie Phthalo Turquoise, Cadmium Orange oder Bismuth Yellow tragen, sprüht Grosse mit einer kompressorbetriebenen Sprühpistole und Sprühlanze im Ganzkörperschutzanzug mit Gesichtsmaske auf die Umgebung.
In grossen Dimensionen denken
Katharina Grosse ist bekannt für ihren unkonventionellen Umgang mit Farben und Formen. Ihre Werke sind oft das Ergebnis mutiger Entscheidungen, die nicht nur ästhetisch, sondern auch konzeptionell überraschen. Sie scheut sich nicht, mit verschiedenen Materialien zu experimentieren und ihre Kunst in unerwarteten Kontexten zu präsentieren. Diese Risikobereitschaft ist ein zentraler Aspekt ihrer künstlerischen Praxis und kann als wertvolle Lektion für Unternehmen dienen. Unternehmen, die sich an bewährte Methoden klammern und Veränderungen scheuen, laufen Gefahr, im Wettbewerb zurückzufallen. Die Bereitschaft, neue Wege zu gehen und bestehende Strukturen zu hinterfragen, kann der Schlüssel zu Innovation und Wachstum sein. «Ich erweitere den Massstab und die malerische Bewegung, […]», sagte Katharina Grosse einst.

In Berlin verwandelte Katharina Grosse die über 120 m lange Halle des Hamburger Bahnhofs – Nationalgalerie der Gegenwart, in ein expansives, farbmächtiges Gemälde.Katharina Grosse, It Wasn’t Us, 2020, Ausstellungsansicht, Acryl auf Boden, Polystyrol und Bronze; Farbe auf Asphalt, Beton, Ziegel und Metall, 700 × 6500 × 18300 cm, Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegen-wart, BerlinFoto: Gavin Rodgers © 2025, ProLitteris, Zurich
Indem sie ihren Wirkungsbereich ausgedehnt haben, sind heutige Global Player zu Weltkonzernen gewachsen. So war der Basler Kaufmann Fritz Hoffmann (1868–1920) der Ansicht, dass Arzneimittel industriell und skalierbar hergestellt werden sollten. Zudem hatte er die Vision, ein in Dosierung und Wirksamkeit standardisiertes Heilmittel international unter einem einheitlichen Markennamen zu verkaufen. 1896 gründete er die Firma F. Hoffmann-La Roche & Co. Nach mehreren Rückschlägen produzierte Hoffmann-La Roche seit 1898 den Hustensaft Sirolin, der als erstes Markenpräparat dank zahlreicher Werbemassnahmen sowie seines Orangengeschmacks erfolgreich vertrieben wurde. Hoffmann hatte stets den internationalen Ausbau im Blick; bis 1912 hatte sich das Unternehmen mit Filialen in neun Ländern, unter anderem in Paris, London und New York, und auf drei Kontinenten etabliert.
Wie mutige Entscheidungen Unternehmen voranbringen
Mutige Entscheidungen sind oft mit Unsicherheiten verbunden, doch sie bieten ebenso die Möglichkeit, sich von der Konkurrenz abzuheben. Unternehmerinnen und Unternehmer können sich fragen: Was würde ich tun, wenn ich keine Angst vor dem Scheitern hätte? Diese Denkweise kann dazu führen, dass neue Ideen und Ansätze entstehen, die Märkte revolutionieren können. Die Arbeiten von Katharina Grosse demonstrieren, dass es sich lohnt, mutig in grossen Dimensionen zu denken. Dabei geht es keineswegs darum, die Dinge komplett neu zu erfinden, sondern zu erkennen, welche Elemente verändert werden müssen, um wirkungsvolle Schritte zu setzen.

Katharina Grosse nutzt alles als Malgrund: Ein verfallendes ehemaliges Militärgebäude in Fort Tilden bei New York hüllte sie mit drei verschiedenen Rottönen und weissen Farbstrichen ein. Katharina Grosse, Rockaway, 2016, Ausstellungsansicht, Acryl auf Wand, Boden und diversen Gegenständen, 600 × 1500 × 3500 cm, Festi-val Rockaway!, Fort Tilden, New York.Foto: alexat25 © 2025, ProLitteris, Zurich
Der US-amerikanische Manager und Autor Bill George unterstreicht, dass Mut diejenige Eigenschaft ist, die herausragende Führungskräfte von guten Managern und Managerinnen unterscheidet. Es gibt Tausende von kompetenten Leadern, die Unternehmen anhand von vorgegebenen Plänen effizient führen können, so Bill George, doch es existieren nur wenige Menschen, die den Mut besitzen, ein Unternehmen zu transformieren. Die Ingenieurin und spätere Serienunternehmerin Kate Gleason (1865–1933) zählte zu den Letzteren. Sie wollte den Radius ihres Familienunternehmens Gleason Works erweitern. Im US-amerikanischen Rochester hatte ihr Vater 1865 begonnen, Werkzeugmaschinen herzustellen. Schon als Jugendliche hatte Gleason die Finanzen und den Vertrieb des Unternehmens geleitet, als erste Frau studierte sie Ingenieurwissenschaften. Als Kate Gleason mit knapp 27 Jahren an gesundheitlichen Beschwerden litt, empfahl ihr Arzt ihr einen Aufenthalt am Meer in New Jersey. Da es dort jedoch keine potenziellen Kunden gab, schlug Gleason ihrem Vater vor, stattdessen eine Atlantikreise zu unternehmen und in Europa die Verzahnungsmaschinen des Familienunternehmens zu verkaufen
Als sie ihren Plan bei einem Vertriebler eines anderen Maschinenbauunternehmens erwähnte, fragte dieser, ob sie in Europa jemanden kenne. «Niemanden», antworte Gleason, «ich habe in Amerika an Menschen, die ich nicht kenne, verkauft, warum also nicht im Ausland?» Der Mann schüttelte den Kopf und stattete Gleason mit einem Bündel von Empfehlungsschreiben aus. So reiste Kate Gleason im November 1892 von Montreal mit 14 Männern auf einem Viehtransportschiff nach Europa, wo sie ihre Produkte bei Unternehmen in England, Schottland, Frankreich und Deutschland bewarb. Mit Erfolg. Auf der Reise gelang es Gleason, zahlreiche neue Kunden zu akquirieren und das väterliche Unternehmen auf dem globalen Markt zu etablieren. Eine solche Reise als 27-jährige Frau auf einen anderen Kontinent zu unternehmen, mit dem Ziel, Fabriken zu besuchen, in denen sie garantiert die einzige Frau unter Männern sein würde, erstaunt noch heute. Oft ist es die eine entscheidende Veränderung, die ein Unternehmen nachhaltig umgestaltet.
In Hinblick auf die Malerei hat Katharina Grosse zwei zentrale Punkte neu ausgerichtet: das Malwerkzeug und den Bildträger. Statt mit einem Pinsel malt sie mit einer Sprühpistole. Dadurch gelingt es Grosse einerseits in gigantischen Dimensionen zu arbeiten, andererseits erreicht sie mit der Sprühpistole weiter und höher entfernte Ziele im Gegensatz zu einem relativ kurzen Pinsel. Zweitens steht der Malerin statt einer traditionellen Leinwand die gesamte Umwelt zur Verfügung, sodass Katharina Grosse mit Farbe und ungewohntem Ausmass die Malerei neu definiert.
Welche Elemente in Ihrem Arbeitsprozess können Sie verändern, um in grösseren Dimensionen zu handeln?
Auf welche neuen Bereiche können Sie Ihre Arbeit ausdehnen, um Ihre Wirkung zu vervielfältigen?
Zu welchen mutigen Handlungen inspirieren Sie die Kunstwerke von Katharina Grosse?
Artgrade your business!
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Jana Lucas

«Artgrade your business!» heisst die Kolumne von Jana Lucas. Darin zeigt die promovierte Kunsthistorikerin, wie bildende Kunst als Ressource speziell für die Wirtschaft dienen kann. Denn wer unternehmerisch gestaltet, profitiert von künstlerischen Arbeitsweisen, so die These von Jana Lucas. Innovationen kann nur entwickeln, wer neu denkt und eigene Positionen einnimmt. Künstlerinnen und Künstler bieten dafür Vorbilder. Die Kolumne nutzt Kunst daher als Trainingsgelände für unternehmerisches Handeln und bietet viele praktische Beispiele, um grundlegende Entscheidungen aus einer neuen Perspektive zu reflektieren, die eigenen Vorstellungen herauszufordern, den Fokus zu schärfen und konkrete Schritte für die gezielte Umsetzung abzuleiten. In ihrem kunstbasierten Consulting mit Schwerpunkt Innovations- und Strategieentwicklung verbindet Jana Lucas unter dem Motto «Von der Kunst lernen» ihre jahrelange Erfahrung im Marketing mit Fragestellungen zu künstlerischen Gestaltungsprinzipien. Dabei spannt sie den Bogen zwischen Kreativität, Innovation sowie Wahrnehmung in der Kunst zu deren Bedeutung für Unternehmen. Darüber hinaus arbeitet Jana Lucas Unternehmens- sowie Privatsammlungen kunsthistorisch auf und erschliesst so deren Mehrwert für Unternehmen. Als Autorin veröffentlichte sie 2021 das erfolgreiche Sachbuch «Die geheimen Pionierinnen der Wirtschaft – Aussergewöhnliche Frauen, die unsere Wirtschaftswelt nachhaltig geprägt haben». 2023 erschien ihr neuestes Buch: «Kleine Basler Kunstgeschichte».
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