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Artgrade your business! Spielend produktiv

15 min.
Jana Lucas

von Jana Lucas

2 Beiträge

In der Basler Universitätsbibliothek treffen Besuchende auf eine Skulptur der brasilianischen Künstlerin Mary Vieira. Das Werk lädt dazu ein, spielerisch aktiv zu werden und sich über die zahlreichen Möglichkeiten, die einem zur Verfügung stehen, bewusst zu werden. Auch im Arbeitsalltag können Spiel und Teilhabe die Produktivität steigern.

Wie oft haben Sie ein Kunstwerk angefasst oder damit gespielt? Die aus Brasilien stammende Künstlerin Mary Vieira (1927–2001) fordert die Betrachtenden ihrer Werke auf, mit einfachen Drehbewegungen spielerisch Neues zu entdecken und die Sinne zu schärfen. Ihre «Polyvolumes» sind bewegliche Kunstwerke, die zum Eingreifen des Publikums konzipiert sind. Ein besonderes Beispiel dafür ist ihre Installation im Foyer der Basler Universitätsbibliothek, die 1968 fertiggestellt wurde. Eingefasst in fünf geometrische, spiralförmig um ein Zentrum angelegte Formen erhebt sich auf einer Bodenplatte die 3,5 Meter hohe Stele aus mehr als 700 dünnen Aluminiumplatten. Die immer gleichen Dreiecke hat die Künstlerin an einer vertikalen Mittelachse so übereinandergestapelt, dass sie sich drehen lassen. Sind alle Dreiecksplatten gleich angeordnet, entsteht ein Körper, ein Dreiecksprisma. Da jedoch jede Platte in der Ebene eine andere Ausrichtung einnehmen kann, ergeben sich für die Silhouette beinahe unendliche Variationen. Es lassen sich gewundene Spiralen, Sterne oder Wellenlinien ausbilden, man kann aber auch nur eine Platte aus einer gegebenen Ordnung drehen. Mary Vieira lädt uns ein, spielerisch aktiv zu werden und scheinbar Statisches in etwas Fluides zu verwandeln.

Spielen steigert die Produktivität

Indem Sie sich von Vieiras Kunst inspirieren lassen und Spiel im Arbeitsalltag fördern, können Teams ihre Fähigkeit verbessern, komplexe Probleme zu lösen und innovative Ideen zu entwickeln. Zufolge einer Studie der US-amerikanischen Brigham Young University steigert Spielen die Produktivität am Arbeitsplatz um 20 Prozent: Denn Spielen stimuliert das Gehirn und fördert die Problemlösungskompetenz.

Als ich in einer Ausstellungs- und Marketingagentur gearbeitet habe, haben wir dort beispielsweise bei Brainstormings die sogenannte «Kopfstandtechnik» angewendet. Bei dieser spielerischen Form der Ideenfindung geht es darum, zunächst negative, abschreckende Antworten auf eine Frage zu formulieren. Zum Beispiel: Was können wir tun, um Kundinnen und Kunden davon abzuhalten, eine Markenwelt zu besuchen? Alle schreiben je eine Antwort auf ein Post-it und kleben diese an die Wand: Auf Anfahrtsschilder verzichten, unfreundliches Personal einstellen, ein inhaltliches Angebot kreieren, das niemanden interessiert, kein Verpflegungsangebot bieten und keine Werbung auf Social-Media-Kanälen schalten. Bei dieser Methode zeigt sich, wie erheiternd es ist, Fehler zu sammeln. Im nächsten Schritt wenden alle ihre Antworten ins Gegenteil: Einfache und gut sichtbare Beschilderungen entwickeln, ein Café mit feinen Snacks einrichten, das Personal in Hinblick auf eine zuvorkommend freundliche Kundenkommunikation schulen usw. Abschliessend werden die wichtigsten Lösungen und Ideen bestimmt und umgesetzt.

Artgrade your business

Das Publikum wird Teil des Kunstwerks, indem es mitgestaltet: Mary Vieiras «Polyvolume» in der Basler Uni-versitätsbibliothek. Mary Vieira, Polyvolume: Itinéraire hexagonal métatriangulaire, à communication tactile, 1966–1968, Foyer der Universitätsbibliothek Basel. Foto: Andreas Muster

Anfänge in Belo Horizonte, Brasilien

Wie entwickelte Mary Vieira ihre künstlerische Sprache? Mary Vieira wurde am 30. Juli 1927 in São Paulo geboren und wuchs in Belo Horizonte auf, eine der grössten Städte Brasiliens. Zunächst studierte sie Pädagogik, ab 1944 begann Vieira, in der vom Künstler Alberto da Veiga Guignard gegründeten Guignard University of Art von Minas Gerais Kunst zu studieren. In Belo Horizonte erhielt die Bildhauerin nicht nur ihre künstlerische Ausbildung, sondern erlebte die Entwicklung der modernen brasilianischen Architektur. Oscar Niemeyer (1907–2012) etwa, der in den 1950er-Jahren mit seinen Bauten für Brasilia Weltruhm erlangen sollte, konstruierte in den 1940er-Jahren in Belo Horizonte atemberaubende Meisterwerke aus Stahlbeton, die durch fliessende, wellenartige Konturen und Dachlinien charakterisiert sind und die vermutlich auch Mary Vieira inspirierten. 1953 erhielt Vieira auf der 2. Biennale von São Paulo den Preis für Brasilianische Skulptur.

Aufbruch nach Europa

Nachdem Vieira 1951 im Museu de Arte de São Paulo eine Ausstellung von Max Bill (1908–1994) besucht und sich intensiv mit den Arbeiten des Schweizer Künstlers und Designers auseinandergesetzt hatte, brach die 25-jährige Künstlerin auf der Suche nach neuen Formen nach Europa auf. Sie reiste nach Basel und Mailand und studierte zunächst 1953 und 1954 in Ulm an der Hochschule für Gestaltung, die der ehemalige Bauhaus-Schüler Max Bill mitbegründet hatte und leitete. Die Werke Max Bills dienten ihr als Gradmesser. Neben dem Minimalismus von Bill griff Vieira Ideen des italienischen Futurismus auf, der die Darstellung von Bewegung und Geschwindigkeit ins Zentrum gerückt hatte. Nachdem Vieira 1957 den italienischen Dichter und Kunstkritiker Carlo Belloli (1922–2003) geheiratet hatte, lebte sie in der Schweiz, Italien und Brasilien.

Kunst als Möglichkeit zur Teilhabe

Vieira arbeitete international, schuf Skulpturen in Basel und Reinach, im Park am Zürcher Seefeldquai, in Leverkusen sowie im Ibirapuera Park in São Paulo. Ihre beweglichen Skulpturen reichen von einem halben Meter Höhe bis zu übermannshohen Arbeiten. Vieiras Werk sowie die kinetischen Arbeiten anderer Künstler wie Jean Tinguely oder Alexander Calder demonstrieren, wie Künstlerinnen und Künstler in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nach einem neuartigen Ausdruck suchten. Vieiras Werke sind als «Mono-», «Multi-», «Poly-» oder «Intervolumes» in die Kunstgeschichte eingegangen. Sie befinden sich ebenso wie ihre grafischen Arbeiten in zahlreichen Sammlungen wie dem Kunstmuseum Basel, dem Museum of Modern Art in New York oder dem Museu de Arte Moderna in Rio de Janeiro. Das in der Basler Universitätsbibliothek bereits erprobte Konzept eines «Polyvolumes» für einen öffentlichen Raum setzte Vieira 1969 monumental mit dem «Ponto de Encontro» für den Palácio Itamaraty in Brasilia fort, dem von Oscar Niemeyer errichteten Aussenministerium. Vieira sagte, dass sie mit den «Polyvolumes» etwas zur Verfügung stelle, was die Politik auch tun solle: Sie biete für alle die gleiche Möglichkeit zur Teilhabe.

Mitarbeiterbeteiligung: Top-Unternehmen machen es vor

Ebenso wie bei Vieiras «Polyvolume» ist es in der heutigen Arbeitswelt entscheidend, ein Umfeld zu schaffen, in dem alle Mitarbeitenden sich einbringen und ihre Ideen teilen können. Das St. Galler Software- und Beratungsunternehmen Abacus Umantis AG beispielsweise lebt eine mitarbeiterzentrierte Unternehmenskultur, bei der Engagement und Involvement der Mitarbeitenden zentral sind. Konkret werden Mitarbeitende bei strategischen Beschlüssen miteinbezogen und Entscheidungen an Fachexpertinnen und -experten delegiert. Mit dem sogenannten Advice-Prozess können alle Mitarbeitenden Entscheidungen herbeiführen, wenn sie vorher den Rat aller betroffenen Kollegen einholen. Auch das in diesem Jahr bei einer Umfrage des Beratungsunternehmens Great Place to Work zum besten Arbeitgeber der Schweiz im Bereich Grossunternehmen gekürte Unternehmen HILTI setzt auf Teilhabe, um seine Mitarbeitenden zu motivieren. In zahlreichen Workshops vermittelt HILTI den weltweit 34 000 Teammitgliedern die Unternehmensstrategie, damit diese wissen, was ihr konkreter Beitrag zum Unternehmenserfolg ist. 50 Mitarbeiternetzwerke erarbeiten Verbesserungsvorschläge für den Werkzeughersteller und monatlich findet ein Gipfelizmorge mit Mitarbeitenden und der Konzernleitung statt, sodass sich die verschiedenen Hierarchieebenen austauschen.

An Mary Vieiras «Polyvolume» in der Universitätsbibliothek Basel arbeiten die Besuchenden seit mehr als 50 Jahren mit und arrangieren die Skulptur täglich neu. Wie gestalten Sie Teilhabe, Spiel und Kreativität in Ihrem Arbeitsalltag oder Unternehmen?

 

Artgrade your business!

Ihre Jana Lucas

Eine ausführliche Beschreibung von Mary Vieiras «Polyvolume» findet sich im neuen Buch von Jana Lucas: Kleine Basler Kunstgeschichte (erschienen im Christoph Merian Verlag).

Jana Lucas im Fokus

Jana Lucas

«Artgrade your business!» heisst die Kolumne von Jana Lucas. Darin zeigt die promovierte Kunsthistorikerin, wie bildende Kunst als Ressource speziell für die Wirtschaft dienen kann. Denn wer unternehmerisch gestaltet, profitiert von künstlerischen Arbeitsweisen, so die These von Jana Lucas. Innovationen kann nur entwickeln, wer neu denkt und eigene Positionen einnimmt. Künstlerinnen und Künstler bieten dafür Vorbilder. Die Kolumne nutzt Kunst daher als Trainingsgelände für unternehmerisches Handeln und bietet viele praktische Beispiele, um grundlegende Entscheidungen aus einer neuen Perspektive zu reflektieren, die eigenen Vorstellungen herauszufordern, den Fokus zu schärfen und konkrete Schritte für die gezielte Umsetzung abzuleiten. In ihrem kunstbasierten Consulting mit Schwerpunkt Innovations- und Strategieentwicklung verbindet Jana Lucas unter dem Motto «Von der Kunst lernen» ihre jahrelange Erfahrung im Marketing mit Fragestellungen zu künstlerischen Gestaltungsprinzipien. Dabei spannt sie den Bogen zwischen Kreativität, Innovation sowie Wahrnehmung in der Kunst zu deren Bedeutung für Unternehmen. Darüber hinaus arbeitet Jana Lucas Unternehmens- sowie Privatsammlungen kunsthistorisch auf und erschliesst so deren Mehrwert für Unternehmen. Als Autorin veröffentlichte sie 2021 das erfolgreiche Sachbuch «Die geheimen Pionierinnen der Wirtschaft – Aussergewöhnliche Frauen, die unsere Wirtschaftswelt nachhaltig geprägt haben». 2023 erschien ihr neuestes Buch: «Kleine Basler Kunstgeschichte»

janalucas.ch

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