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«Wir müssen denkerische Tabus brechen»

11 min.
PR und Corporate Communication der Bank WIR

von Volker «Vloggy» Strohm

22 Beiträge

Die Covid-19-Pandemie wird die Geschäftsmodelle verändern – auch für KMU. Trend- und Zukunftsforscher Andreas M. Walker sieht aber noch weitere Herausforderungen auf uns zukommen. Dritter und letzter Teil unseres Interviews.

Wir sind in unserer Kultur ein «Ja» oder «Nein» gewohnt – mit der Pandemie erleben wir aber ein Phänomen, das unsere Generation nicht kennt: das Umgehen mit Mutmassungen. Wem soll man glauben?

Andreas M. Walker: Der Experte definiert sich dadurch, dass er recht hat. Dass er beweisen kann, dass es wirklich so ist. Und wenn nun ein Experte sagt «wir gehen davon aus, dass es wahrscheinlich so ist», dann ist das eine Mutmassung – und er zeigt Schwäche. Das wollen wir in unserer Kultur nicht. Es gibt keine Kultur der Unsicherheit. Dafür boomen die Verschwörungstheorien.

Unsicherheit kann gefährlich werden.

Auch in unserem Rechtsstaat haben wir die Vorstellung von Recht und Weisungen, die für alle gelten. Im Prinzip müssten wir – um zum vorherigen Beispiel zurückzukommen – sagen: Tragt alle Masken. Und die, die Masken tragen und trotzdem krank werden, haben Recht auf Behandlung. Bei den anderen, die nicht an die Sache glauben und keine Maske tragen, müsste die Eigenverantwortung spielen. Folglich haben wir keinen Platz frei im Spital. Diese verschiedenen Ansätze überfordern aber unser Modell der Rechtsstaatlichkeit.

Und das Beispiel wäre ethisch sehr problematisch.

Als Querdenker müssen wir den Ansatz eines Gegen­modells durchdenken. Aber, ja, Fakt ist, dass öffentliche Diskussionen heute sofort stark emotionalisiert werden. Es besteht eine Art von Denkverbot, da politisch nicht mehr korrekt. Und aus dem Verständnis von «Political Correctness» bilden Leute sehr schnell eine Meinung, ohne dass sie ein Phänomen wirklich zu Ende gedacht haben.

Wie würde das Durchdenken bei diesem medizinischen Beispiel der Maskenverweigerer aussehen?

Aus der Versicherungs- und Bankenbranche kennen wir das risikoorientierte Pricing. Je nachdem, wie viel Risiko ein Kunde nimmt, verändert sich der Preis. Wenn wir das im juristischen oder medizinischen Bereich auch machen würden, ist das aus ethischer Sicht nicht erlaubt. Deshalb denken wir solche Ansätze eben nicht zu Ende. Um neue Lösungen finden zu können, müssen wir aber denkerische Tabus brechen.

Wie?

Ein Beispiel: Bilanz im öffentlichen Gesundheitswesen. Wir haben Corona-Patienten allgemein als hochwertig definiert. Die Devise: Intensivpflegebetten unbedingt freihalten für Corona-Patienten. Effektiv haben wir diese Betten auch in der ersten Welle maximal bis zur Hälfte gebraucht. Trotzdem wurden ganz viele nicht notwendige Operation zurückgestellt. Ein Tabu wird gebrochen, wenn ich nun die Frage stelle: Wie viele Leute, die zu spät oder nicht behandelt wurden, haben gesundheitliche Nachteile erlitten oder sind sogar gestorben? Diese Gegenrechnung wird als politisch unkorrekt zensuriert. (zögert) Und ich tue mich selbst schwer, derartige Fragen zu formulieren.

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«Die Helden von heute und morgen sind diejenigen, die in der Überraschung Innovationen leben können.»

Gerade auch aus dem KMU-Bereich wird Kritik an den politischen Anordnungen laut.

In den letzten 30 Jahren haben wir es nicht mehr für möglich gehalten, dass der Staat und die Verwaltung derart stark aufleben würden. Die Reibungsfläche entsteht hier dadurch, dass der Rechtsstaat ein Recht für alle auferlegt, während wir in der Wirtschaft den Megatrend Individualisierung leben: Es gibt verschiedene Kunden, verschiedene Märkte, verschiedene Segmente. Wir müssen uns als Unternehmen gleichzeitig mit verschiedenen Strategien in verschiedenen Märkten bewegen. Und da kann ich gleich nochmals eine Verbindung zur vorherigen Antwort herstellen: In der Wirtschaft kennen wir als Folge von Big Data verschiedene Milieus – beispielsweise punkto Preis- oder Lohn­politik. Wenn wir diese im Bereich öffentliche Gesundheit einfordern würden, sind wir schon beim nächsten Tabu.

Wie wird Covid-19 das Wirtschaftsleben verändern?

Das Leben wird kurzfristiger, das schlägt auf Geschäftsmodelle, auf Amortisationen durch. Bestehen Geschäftsmodelle nur noch daraus, Opportunitäten abzuschöpfen? Wer ist dann noch bereit, langfristig zu investieren? Und wie? Die Antworten kennen wir heute noch nicht. Aber um sie finden zu können, müssen wir – wie vorhin erwähnt – vom Denken in Risikomodellen lernen, vom Denken in Eventualitäten. Und wir dürfen dabei nicht in alte Modelle zurück kippen, in denen wir Planbarkeit, Berechenbarkeit und Absicherungsmöglichkeiten suchen. Die neue Realität heisst: improvisieren und mit Überraschungen umgehen können.

Ist das realistisch?

Mit der neuen Kompetenzorientierung, die unserer jungen Generation gelehrt wird, bin ich zuversichtlich. Wir, die im vergangenen Jahrhundert aufgewachsen sind, orientieren uns mental noch sehr stark daran, ob etwas stimmt oder nicht. Unsere Welt wird aber schneller und komplexer, so dass wir mit Rechnen gar nicht mehr nachkommen.

Der risikoscheue Bünzli-Schweizer hat ausgedient.

(lacht) Wir sind doch stolz darauf, dass unsere landestopografischen Karten bis ins Detail genau stimmen. Jetzt müssen wir insbesondere als Unternehmerinnen und Unternehmer aber auf dem Meer surfen lernen – auf Wellen, bei denen unsere tollen Karten unnütz sind. Und mit dem Zeichnen der Wellenlandschaften kommen wir nicht nach … Das wäre ein Paradigmenwechsel, das wäre eine Disruption beim Wechseln des Gedankenmodells. Weg von der Sesshaftigkeit zurück in neue Formen von Nomadismus. Die Helden von heute und morgen sind diejenigen, die in der Überraschung Innovationen leben können.

 

Fotos: Raffi p.n. Falchi

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Dr. Andreas M. Walker zählt zu den führenden Trend- und Zukunftsexperten der Schweiz. Er ist Ehrenmitglied von swissfuture, der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftskonferenz, und ehemaliger Co-Präsident. Als Fachoffizier bzw. Offizier für strategische Analysen ist er seit 1994 in die Früherkennung neuer Krisen und in die Entwicklung von Übungsszenarien involviert. 2003 bis 2005 wirkte er im engeren Kernteam für die strategische Führungsübung des Bundesrats «Epidemie in der Schweiz» mit. Danach unterstützte er mehrere Ämter, Verbände und Firmen in der Vorbereitung für das Risiko einer neuen Pandemie. Aktuell befasst er sich als Autor, Interviewpartner, Trainer und Dozent intensiv mit den Hintergründen von Corona Covid-19.

Walker hat die WIR Bank schon mehrfach als Referent für Zukunftsthemen unterstützt. Als ehemaliger Bankdirektor, Verwaltungsrat von KMU und Geschäftsführer auf Zeit ist er ein versierter Kenner der Früherkennung und der proaktiven Gestaltung von strategischer Veränderung. Er unterstützt Firmen in der Beratung, mit Workshops und Referaten.

Webseite von Andreas M. Walker

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