Menu

Wie die Bundesstadt Bern zur Velohauptstadt wird

21 min.
Vogel

von Artur K. Vogel

5 Beiträge

Bern hat sich zum Ziel gesetzt, auch «Velohauptstadt» der Schweiz zu werden. In den vergangenen zehn Jahren hat die Stadt Millionen in die Verbesserung der Velo-Infrastruktur investiert. Doch es gibt noch einiges zu tun.

Bern will zur attraktivsten Velo-Stadt der Schweiz werden. Deshalb lancierten Stadtregierung, Parlament und Verwaltung 2014 eine Velo-Offensive. Dank massivem Ausbau der Velo-Infrastruktur sollte unter anderem der Anteil der Wege, die Bernerinnen und Berner mit dem Fahrrad zurücklegen, von damals elf auf 20 Prozent im Jahr 2030 erhöht werden. Dieses Ziel hat die Stadt laut einer Studie der Universität Lausanne schon 2021 fast erreicht – weshalb die Lobby-Organisation Pro Velo moniert, die Vorgabe sei zu wenig ambitiös gewesen und sollte auf 30 Prozent erhöht werden.

Auch Touristen im Visier

Langfristig soll das Velo in Bern zusammen mit dem ÖV den motorisierten Privatverkehr ersetzen. Dem Stadtplaner Karl Vogel schwebt vor, dass nur noch Güter sowie Menschen mit Behinderungen mit dem Auto transportiert werden. Zudem sollen Bern und sein hügeliges Umland auch Touristinnen und Touristen ansprechen. «Wir setzen seit 2019 auf das Velo», sagt Hannes Schertenleib, der bei der Tourismusorganisation Bern Welcome als Projektleiter E-Bike fungiert. «Wir wollen den langsamen, nachhaltigen Tourismus fördern.» Der lokale und der touristische Veloverkehr seien direkt miteinander verknüpft, ist Schertenleib überzeugt: «Je besser sich die Einheimischen fühlen, desto besser fühlen sich auch Touristinnen und Touristen.» Die touristischen Velo-Offensiven sind dabei älter als die städtischen: Vor 20 Jahren wurde die erste «Herzroute» gegründet. Inzwischen propagiert Bern Welcome rund um die Bundesstadt zehn als «Top-E-Bike-Routen» bezeichnete Rundfahrten. Dazu werden detaillierte Strassenkarten angeboten, welche auch Restaurants, Dorf- und Hofläden, Übernachtungsmöglichkeiten, Velofachgeschäfte, Grill- und Picknickplätze sowie Sehenswürdigkeiten auflisten.

Wie wichtig Bern als Velostadt inzwischen geworden ist, demonstriert unter anderem der E-Bike-Vertreiber m-way mit mehr als 30 Geschäften in der Schweiz und einem wachsenden Online-Handel. Auf dem Gelände der Bern expo hat m-way vergangenen Sommer seine schweizweit grösste Filiale eröffnet. Mehr als 100 Bikes verschiedenster Marken sind hier an Lager. Eine grosszügige Verkaufsfläche und eine 300m2 grosse Werkstatt sollen ein ganz neues Einkaufs- und Serviceerlebnis bieten.

Forsthaus_MarcoZanoni-5

1/2 Sicher über die Forsthauskreuzung: Velofahrer haben ihre eigene Fahrspur. Foto: Marco Zanoni

Frau

2/2 Die Berner Velohauptroute Länggasse-Bremgartenwald zeichnet sich durch einen durchgehend markierten Velostreifen aus. Foto: Velohauptstadt

«Es gibt noch heikle Stellen»

Doch wie fühlt man sich als Radler in Bern? «Ich bin kein links-grüner Fanatiker», betont zum Beispiel Andreas Graf. Er besitzt auch eine Giulietta von Alfa Romeo für den Alltag, ein 50-jähriges Alfa-Spider-Kabrio für sommerliche Ausflüge und zwei Motorräder: eine moderne Ducati und eine BMW R50, die unwesentlich jünger ist als ihr Besitzer. «Motorfahrzeuge, Velo, ÖV – ich wähle mein Verkehrsmittel je nach Gegebenheit», sagt der Landschaftsarchitekt mit Jahrgang 1954, der auch Zeichner, Maler, Galerist, Bassist in einer Rockband und Chansonnier ist. Fast jeden Tag sitzt Graf auf dem Rad, das er in und um Bern konsequent nutzt, um die Umwelt zu schützen, sich fit zu halten und auch aus praktischen Gründen. Das erste Velo kam früh: «Mit dem Lohn aus meinem ersten Ferienjob kaufte ich seinerzeit einen Dreigänger für 300 Franken.»

Berne capitale du vélo

Der Berner Andreas Graf wählt sein Verkehrsmittel –Velo, Motorrad oder Auto – je nach Gelegenheit. Foto: zVg.

Die Velo-Infrastruktur habe sich in den vergangenen Jahren stark verbessert, sagt Andreas Graf. Allerdings gibt es noch viele heikle Stellen. Wenn Graf von seiner Wohnung im Schönburg-Quartier hinunter zum Bahnhof fahren will, muss er den Verkehrskreisel am Viktoriaplatz umrunden. Der ist zwar soeben neu gestaltet worden, jedoch für Radfahrer noch immer nicht optimal. «Wahrscheinlich würde man ihn heute anders bauen», räumt Stephanie Stotz ein. Sie ist Leiterin der Fachstelle Fuss- und Veloverkehr der Stadt Bern. Von der ersten Planung eines Platzes bis zur Realisierung verstrichen in der Regel zehn bis 15 Jahre, gibt Stotz zu bedenken. «In dieser Zeit sind vielleicht bereits neue Erkenntnisse gewonnen worden.»

berne capitale du vélo

Es gibt auch in der Velo-Hauptstadt Bern noch heikle Stellen für Velofahrer, etwa beim «Zytglogge», wo sich Fussgänger, Velofahrer, Autos und Tram begegnen. Foto: iStock

Fährt Graf die Kornhausbrücke hinunter, gelangt er auf den Kornhausplatz. Dort, vor Stadttheater und Kornhaus und gegenüber den Traditionslokalen «Ringgenberg» und «Café des Pyrenées», präsentiert sich eine heikle Situation: Tramschienen sind von hohen Bordkanten gesäumt, die den ÖV-Passagieren das Einsteigen erleichtern, doch Velofahrern nur wenig Platz lassen. Alternativ ist ihnen erlaubt, aufs breite Trottoir auszuweichen, wo sie aber den Fussgängern in die Quere kommen. Der nächste Hotspot ist nur Meter entfernt: Auf der Zytglogge-Kreuzung vereinen sich die Tramlinien von der Kornhaus- mit jenen von der Kirchenfeldbrücke her, um danach gemeinsam die Marktgasse hinauf Richtung Bahnhof zu verlaufen. Ein fast unübersichtliches Schienengewirr ist die Folge. Auch die Situation um den Bahnhof ist für Radfahrer nicht optimal, ebenso wenig jene beim Bubenbergplatz und beim Hirschengraben. Dort soll sie zwar im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Bahnhofs verbessert werden, allerdings wird das noch mehr als ein Jahrzehnt dauern.

 

Starke Zunahme des Veloverkehrs

Andreas Graf gehört zur rasch wachsenden Gruppe der Velofahrerinnen und -fahrer in Bern. Dass der Veloverkehr so stark zugenommen hat, ist laut Stephanie Stotz direkt auf die städtische Velo-Offensive zurückzuführen: «Je mehr die Stadt für Velos tut, desto mehr Menschen fahren Velo», ist sie überzeugt. Dass diese Zunahme auch neue Herausforderungen birgt, ist ihr bewusst: «In Bern steigt der Veloanteil mittlerweile so schnell, dass wir kaum mit dem Ausbau der Velorouten nachkommen. » Das bemängelt auch Pro Velo Bern: Die Bundesstadt sei vom Ziel, «eine sichere Infrastruktur für alle Fahrradfahrenden anzubieten, nach wie vor weit entfernt», heisst es.

Velostrasse

1/2 In der Stadt Bern gibt es gegenwärtig acht Velostrassen in Tempo-30-Zonen. Foto: Velohauptstadt

Veloabstellplatz

2/2 Velos brauchen auch Parkplätze. Bis 2030 soll allein um den Bahnhof Bern Platz für 10 000 Velos geschaffen werden. Stand heute: 4700. Foto: Velohauptstadt

100 km Velowege sind das Ziel

Ein sehr detaillierter Masterplan von Ende 2020, der laufend auf den neuesten Stand gebracht wird, zeigt auf, wohin die Entwicklung führen soll. Unter anderem ist ein dichtes Netz von Velo-Hauptrouten, Velowegen und Velostreifen geplant, das im Endausbau etwa 100 Kilometer umfassen soll. Davon seien erst zehn bis 15 Prozent realisiert, sagte der Berner Stadtplaner Karl Vogel in einem Interview Ende des vergangenen Jahres. Wichtig ist vor allem, den motorisierten und den Veloverkehr zu entflechten, für Radfahrer sichere Kreuzungen und Abzweigungen zu schaffen, sichere Spurwechsel zu ermöglichen und so auch schwächeren Verkehrsteilnehmern Sicherheit zu bieten. «Von acht bis achtzig» sollen alle das Fahrrad nutzen können.

Radfahren als soziale Betätigung

Die Ziele sind hoch gesteckt und teilweise nicht realisierbar. So sollen Velo-Hauptrouten zweieinhalb Meter breit sein, damit schnelle E-Bikes langsamere Räder gefahrlos überholen können. Auch sollen zwei Radfahrer nebeneinander fahren können, denn «Radfahren ist eine soziale Angelegenheit», findet Stephanie Stotz. Aus baulichen Gründen ist das allerdings vielerorts gar nicht möglich. Bern ist eine im Mittelalter entstandene Stadt und als Unesco-Weltkulturerbe nicht völlig frei in seiner Entwicklung. Zudem soll in der ganzen Stadt nach und nach Tempo 30 eingeführt werden. Autos wären dann nicht mehr schneller unterwegs als E-Bikes, was die Gefahr von Kollisionen reduzieren würde. Diese Idee wird allerdings von der Auto-Lobby vehement bekämpft.

berne capitale du vélo

Velofahren ist eine soziale Angelegenheit. In Bern sollen die Fahrradwege deshalb – wenn möglich – 2,5 m breit sein, sodass man nebeneinander fahren oder andere Velofahrer gefahrlos überholen kann. Foto: Velohauptstadt

Signalisation wird angepasst

Ein weiteres Thema ist die Signalisation. Zwar sind die regionalen Velorouten seht gut ausgeschildert; verantwortlich dafür ist Schweiz Mobil, das landesweite Netzwerk für Langsamverkehr. In der Stadt selber besteht jedoch Verbesserungsbedarf. «Ein Velonetz ist nur dann sicher und für alle benutzbar, wenn die Velofahrenden immer wissen, was von ihnen erwartet wird und wo sie fahren sollen», sagt Stephanie Stotz. Ein Kreditantrag für verbesserte Signalisation ist eingereicht. Realisiert werden kann das Projekt aber frühestens ab dem Winter 2024/25.

Velohauptstadt Bern

Eine von sechs Berner Velostationen. Foto: Velohauptstadt

Autofahrer steigen kaum um

Beim Velo-Boom gibt es ein Problem: Andreas Graf und weitere Angehörige älterer Generationen sind die typischen Velofahrer, wohingegen es schwieriger ist, Jüngere vom Radfahren zu überzeugen. Kinder seien zwar vom Velo begeistert, räumt Stephanie Stotz ein. Würden sie älter, wachse die Abstinenz. Dem soll mit Kampagnen in den Schulen entgegengewirkt werden. Zudem suggerieren ältere Erhebungen, dass vor allem Fussgänger und ÖV-Nutzer aufs Rad umsteigen, Autofahrer jedoch kaum. Auch hier wird noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten sein.

«Wir sind weit, aber noch lange nicht am Ziel», resümiert Stephanie Stotz. Es gebe noch etwelche Gefahrenstellen, und viele Verbesserungen seien erst provisorisch. Doch sie ist überzeugt: «Bis etwa 2030 wird Bern auf einem Niveau sein, mit dem wir zufrieden sein können.»

Die Bank WIR und die Tour de Suisse

Die Bank WIR ist von 2023 bis 2025 Premium Partner der Tour de Suisse und präsentiert das Bergpreistrikot.
Die Tour de Suisse – sie findet 2024 vom 9. bis 18. Juni statt – ist der grösste alljährlich stattfindende Sportanlass im Land und ein Radsportfest für die breite Öffentlichkeit. Dort ist der globale Megatrend Velofahren längst angekommen, und dort befindet sich das Zielpublikum für die Spar-und Vorsorgeprodukte der Bank WIR. Im WIRinfo und auf anderen Kanälen thematisieren wir deshalb seit Februar 2023 die Tour de Suisse und das Phänomen Velo in all seinen Facetten.

Kommentare

Zu diesem Beitrag gibt es noch keine Kommentare.

Ihr Kommentar

Abbrechen Neuen Kommentar erfassen
Kein Kommentar

Nächster Artikel

Allgemein

Mehr aus der KategorieAllgemein

«Mein Ding sind kurze, steile Passagen»

Die Westschweizerin Elise Chabbey hat an der Tour de Suisse Women 2023 den Bergpreis gewonnen, versteht sich aber nicht als eigentliche Kletterin. Dieses Jahr dick angestrichen in ihrem Rennkalender sind die Olympischen Spiele in Paris und die Rad-Weltmeisterschaften in Zürich.

Mehr

«Hart, aber fair»: Tour de Suisse 2024

David Loosli organisiert seit über zehn Jahren die Tour de Suisse. Der Sportdirektor spricht im Interview über den Streckenplan der diesjährigen Ausgabe der Rundfahrt und darüber, wie genau eigentlich die Etappenplanung vorangetrieben wird. Zudem erklärt der Berner, was einen guten Mix ausmacht und was er von Zeitfahren und Bergankünften hält – und welchen Wunsch er bezüglich Zielort der Tour de Suisse hat.

Mehr

Epigeos AG: Durch Tauschgeschäfte zum Erfolg

Andreas Ritter ist Gründer und Inhaber der Epigeos AG in Kloten. Die Kernkompetenz des Unternehmens: Die Faszination für Barter-Deals und Kompensationsgeschäfte. Perfekte Voraussetzungen für den Einsatz der Komplementärwährung WIR und das Engagement im WIR-Netzwerk.

Mehr

Die WIR-Messe im Triibhuus: eine aussergewöhnliche Location für ein besonderes Event

Am 27. August findet die zweite regionale WIR-Messe statt - dieses Mal in Rothrist.  Wir haben mit Initiator Andy Bühler von der Gärtnerei Bühler über die Durchführung und die ungewöhnliche Location gesprochen.

Mehr