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Von der Elfenbein­küste an den Genfersee­

44 min.
Flury

von Daniel Flury

22 Beiträge

Hoch über dem Genfersee thront in Mont-Pèlerin das «Chalet». Seit wenigen Monaten hat es mit Jérôme Aké Béda einen neuen Direktor.

Geboren 1962 in Abidjan, der Hauptstadt der Elfenbeinküste, verlief der Lebenslauf von Jérôme Aké Beda zunächst in normalen Bahnen: Absolvierung einer französischen Missionarsschule, Eintritt in die erste Hotel­fachschule des Landes, gebaut mit Unterstützung aus  Kanada, Maître d’Hôtel im «Wafou», einem bekannten  Hotel in der Lagune Abidjans. Die Wende kam während eines schicksalhaften Ferienaufenthalts in Frankreich, der dazu führte, dass Jérôme Aké Béda 1990 in die Schweiz kam, in Glion die renommierte Hotelfachschule absolvierte und seine Praktika im «Raisin» in Vevey (16 GaultMillau-Punkte). Die nächsten Stationen waren das «Vieux Stand» in Lutry, «La Petite Grappe» in Lausanne und 1997 die Anstellung als Maître d’Hôtel im «Château» von Denis Martin in Vevey.

Dieser Schritt war entscheidend für seine weitere Karriere, denn bei Denis Martin begann Aké, sich intensiv mit dem Thema Wein auseinanderzusetzen und seinen Geschmack zu trainieren. Nach einer Anstellung im «Mirador Kempinski» in Mont-Pèlerin – wo er 2003 und 2005 Halbfinalist im Concours Ruinart (bester Sommelier der Romandie) war – wechselte Aké in die «Auberge de l’Onde» in Saint-Saphorin, wieder als Maître d’Hôtel, aber inzwischen auch als mehrfach ausgezeichneter Sommelier. 2015 dann der endgültige Ritterschlag: die Wahl zum Sommelier des Jahres durch GaultMillau. Seit März 2024 ist Jérôme Aké Béda Direktor des «Chalet» in Mont-Pèlerin.

Wein

Jérôme Aké Béda, «Papst des Chasselas» und 2015 Sommelier des Jahres, ist der neue Direktor des Restaurants «Le Chalet» in Mont-Pèlerin.

Was hat Sie dazu bewogen, die Direktion des «Chalet» zu übernehmen?

Der entscheidende Faktor war die Herausforderung, hier gemeinsam mit dem Team etwas aufzubauen und frischen Wind in die Küche und die Organisation des Service zu bringen. Die Ausrichtung des «Chalet» soll es erlauben, die bisherige Kundschaft mit derjenigen zusammenzubringen, die mich von meinen früheren Tätigkeiten her kennt und mir treu bleibt. Kunden, die Qualität verlangen und sich hier in ihrem Element wiederfinden sollen.

Meine Vision des Service ist vor allem technischer Natur: Wenn der Kunde beispielsweise Wein bestellt, soll er im Kübel serviert werden. Die Gäste sollen sich wohlfühlen, und das funktioniert nur, wenn die Abläufe sinnvoll und eingespielt sind. In der Gastronomie sind es die Details, die zählen. Das gilt auch für die Küche. Hier lege ich grossen Wert darauf, dass lokale, saisonale Produkte von bester Qualität auf hohem Niveau verarbeitet werden. Ziel der Produktauswahl und Ausführung ist eine Küche, die ich als gutbürgerlich und demokratisch («bistronomique et démocratique») bezeichnen möchte: Alle sollen auf ihre Kosten kommen, ohne elitär zu sein.

Wein

Jérôme Aké Béda mit seinem Team auf der Terrasse des «Chalet», hoch über dem Genfersee.

Eines Ihrer Ziele ist es, dass die Kundschaft aus Ihren früheren Tätigkeiten Ihnen ins «Chalet» folgt. Ist das gelungen?

Ja! Es hat sich sehr schnell gezeigt, dass alle, die mich kennen, auf den Mont-Pèlerin und ins «Chalet» kommen. Es ist keine «elitäre» Kundschaft, aber doch eine, die Qualität gewohnt ist und verlangt. Sie will Qualität für ihr Geld. Aber es ist wichtig, dass die alte Kundschaft des «Chalet» sich auch unter der neuen Ausrichtung willkommen und nicht ausgeschlossen fühlt. Es geht also darum, den Kunden und sein Wohlergehen ins Zentrum zu stellen und ein gutes Gleichgewicht zu finden, damit alle auf ihre Rechnung kommen. Gemeinsam wird das Team mit Küchenchef Anthony Leca diese Herausforderung meistern, denn die nötigen Voraussetzungen – ein offener Geist und die Bereitschaft, Neues in die Arbeit zu inte­grieren – sind vorhanden.

War die Schweiz die erste Wahl, als Sie sich nach Ihrer Ausbildung entschlossen, im Ausland Erfahrungen zu sammeln?

Nein, denn ich kannte die Schweiz nicht einmal. Wir sind von Frankreich kolonialisiert worden, weshalb für uns ­Europa gleichbedeutend mit Frankreich ist. Ich wollte eigentlich nach New York zu meiner Schwester, traf vorgängig aber während eines Ferienaufenthalts in Sarlat im Périgord zufällig auf meinen früheren Betriebswirtschaftsdozenten. Ein Franzose, der in Abidjan an der Hotelfachschule unterrichtet hat und in Vevey das Restaurant «Le Raisin» führte. Als ich ihm von meiner Absicht erzählte, riet er mir davon ab und schlug vor, stattdessen in die Schweiz zu kommen. Ich fragte ihn, was das sei, die Schweiz, und er klärte mich auf. So bin ich mit einem Studentenausweis ans Centre International de Glion gekommen und habe im «Raisin» mein Praktikum absolviert. Später habe ich geheiratet und die Schweizer Nationalität angenommen.

Wein

Diese exklusiven Flaschen lassen das Herz jedes Weinkenners höher schlagen.

Hatten Sie keine Bedenken in ein Ihnen fremdes Land zu ziehen?

Nein, ich kannte ja den Dozenten von früher, konnte in seinem Restaurant arbeiten und hatte damit auch eine Art Familie. Hilfreich war natürlich, dass es keine Sprachbarriere gab.

«Der Kunde will Qualität für sein Geld.»

Sie gelten heute als herausragender Weinkenner. Hatten Sie schon in der Elfenbeinküste Gelegenheit, sich in diese vielfältige und komplexe Materie zu vertiefen?

Ich werde oft gefragt, ob es in Afrika bzw. der Elfenbeinküste Wein gibt. Nun, Reben gedeihen zwischen dem 36. und 56. Breitengrad. Die Elfenbeinküste liegt zwischen dem 4. und 10. Breitengrad. Im Süden des Landes herrscht das äquatoriale Klima vor, hier dominiert der Anbau von Kakao, Kaffee und Ananas. Somit ist klar: Die Elfenbeinküste ist kein Weinbaugebiet und hat keine Weinkultur. Was man in den Dörfern – neben Bier – kennt, ist ein Wein namens Valpierre. Verkauft wird er in Liter­flaschen mit Metalldeckel. Zubereitet wird er aus einem Pulver, das in Wasser aufgelöst wird. Ein wahrer Rachenputzer …In den gehobeneren Restaurants in der Hauptstadt Abi­djan, wo auch Franzosen verkehrten und wo ich Praktika absolvierte, wurde in den 1980er-Jahren höchstens Beau­jolais nouveau und Georges Dubœuf serviert. Über Wein und seine Vielfalt wusste ich also so gut wie nichts. Das Degustieren von Wein lernte ich erst in der Schweiz.

War auch kein Wein z. B. aus Südafrika oder Algerien erhältlich?

Nein, die Franzosen hatten praktisch das Monopol und importierten die genannten Weine aus Frankreich. Heute ist das anders. Zwar sind es immer noch Franzosen und Libanesen, über die der Weinhandel läuft, aber in den Supermärkten findet man Wein aus aller Welt. In Abidjan hat es auch Vinotheken, die solchen z. B. in Zürich in nichts nachstehen. Wein ist unter den Ivorern etabliert und beliebt. Es gibt darunter Leute, die durchaus als Kenner gelten, und es werden Soirées veranstaltet, an denen sich alles um Wein dreht. Diese Entwicklung ist ziemlich eindrücklich. Algerischen oder marokkanischen Wein trank man in Afrika kaum. Er war bekannter in Europa oder wurde zum Mischen verwendet. Dank den Franzosen kennt man inzwischen den marokkanischen Wein etwas besser, aber er wird schon in Marokko so stark mit Steuern belegt, dass der Import zu teuer wird.

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1/2 Die Weinkarte ist «demokratisch»: Alle kommen auf ihre Kosten, der Kunde, der nur ein Glas Wein trinken möchte und der Weinkenner auf der Suche nach den seltensten Weinen.

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Können Sie sich vorstellen, eines Tages in der Elfenbeinküste als Weinexperte tätig zu sein?

Durchaus. Es tut sich viel auf dem Gebiet des Weins, die Entwicklung ist exponentiell. Hotelier, Weinexperte oder -berater – das würde mir schon gefallen. Ich habe in der Elfenbeinküste dank Berichten in Zeitungen und Illustrierten auch bereits einen Namen – nicht erst, als ich 1989 den Prix Nestlé gewann. Der hatte allerdings nichts mit Wein zu tun. Es ging viel mehr darum, aus Nescafé und Nido-Milch einen Cocktail zu kreieren. Ich mixte diese Grundstoffe mit Cointreau, Rum und Ananassaft, nannte den Cocktail Nest-sweet – und gewann.

Ihre Frau hätte nichts dagegen?

Nein, sie ist Schweizerin, aber sie liebt das Meer, die kilometerlangen Strände, die Sonne … Sie wäre glücklich.

Gibt es Leute, die sich fast schämen zuzugeben, dass sie nichts von Wein verstehen und Ihren Rat benötigen?

Das kommt vor, aber schämen muss sich niemand, schliesslich gehört es zu meinen Aufgaben, die Kunden zu beraten. In aller Regel sind es aber die Weinkenner, die extra zu mir kommen, um sich anleiten zu lassen und neue Weine zu entdecken. Ich habe ein privilegiertes Verhältnis zu den grossen Winzern in der Schweiz und auch in der ganzen Welt. Deshalb führe ich auch sehr exklusive Weine, was natürlich eine Kundschaft anzieht, die sich für Weine begeistert. Sie begeben sich auf eine eigentliche Wein-Entdeckungsreise. Sie schätzen es, von einem erfahrenen Sommelier beraten zu werden, selbst wenn sie selbst in der Lage sind, gute Entscheidungen zu treffen. Es kann ja sein, dass sie etwas übersehen könnten – es kommt immer wieder vor, dass sich selbst Kenner nur an das halten, womit sie schon gute Erfahrungen gemacht haben. Da entgeht ihnen einiges!

«Das Degustieren von Wein lernte ich erst in der Schweiz.»

Kommt es vor, dass Ihre Expertise infrage gestellt wird – dass also der Waadtländer oder der Walliser sagt, ich kenne mich mit Chasselas aus und brauche keinen Afrikaner, der mir Ratschläge gibt?

(lacht) Zu Beginn ist das passiert. Den Wein kennen und schätzen gelernt habe ich bei Denis Martin in Vevey. Dort war ich nicht Sommelier, sondern «Maître d’Hôtel» und war verantwortlich für die Säle. Wenn es z. B. bei Hochzeiten dann hiess, «und das ist Ihr Sommelier», waren viele schon erstaunt, denn sie erwarteten jemanden aus der Gegend. Das anfängliche Misstrauen verflog aber immer schnell, wenn die Gäste realisierten, dass ich ihnen einen guten Wein empfohlen hatte und sie einen schönen Abend geniessen konnten. Ernst genommen wurde ich spätestens im Mirador Kempinski, als ich begann, Preise einzuheimsen und man in den Zeitungen und Illustrierten darüber las. Für das «Mirador» gewann ich 2004 den renommierten Prix Gosset Celebris für die beste Champagner-Karte, 2003 und 2005 war ich unter den drei besten Sommeliers der Romandie. 2015 schliesslich kam die Auszeichnung «Schweizer Sommelier des Jahres» hinzu.

Sie haben ein Buch geschrieben …

… Ich habe drei Bücher geschrieben: den 2011 in den Éditions Favre den erschienenen «Guide des meilleurs vignerons de Suisse», zusammen mit Pierre Emmanuel Buss und dem Fotografen Guillaume Perret, dann 2014 im selben Verlag den Bestseller «99 Chasselas à boire avant de mourir», wieder zusammen mit Buss, und schliesslich zusammen mit Jean-Charles Simon und dem Fotografen Dominique Derisbourg das sehr aufwendig gestaltete und nicht mehr erhältliche «Les 73 vins à boire pendant & après la Fête des Vignerons 2019». Dort stelle ich nicht nur die Weine des Chablais und Lavaux vor, sondern auch edle Tropfen aus allen Weinregionen der Schweiz. Der Choreograf der «Fête des Vignerons», Daniele Finzi Pasca, wollte, dass ich das Geschehen an der «Fête» auf der Bühne kommentiere, und das Buch ist in diesem Zusammenhang entstanden.

Gibt es ein neues Buch-Projekt?

Nein, mein Projekt ist das «Chalet», es verlangt meine volle Aufmerksamkeit. Wir haben den ersten grossen Schritt gemacht, sind aber noch nicht am Ziel.

Wein

Ein Schwergewicht liegt auf Halbliterflaschen, aber auch Magnum-Formate sind vertreten.

Ist es auch dem Zufall zuzuschreiben, dass Sie als Spezialist für Chasselas gelten? Hätte das Schicksal Sie z. B. ins Tessin geführt, wären Sie heute Spezialist für Merlot?

Ja, natürlich. Ich lebe in einer Region, in der die Rebsorte Chasselas auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblickt. Da liegt es auf der Hand, dass man sich damit beschäftigt. Die Zisterzensiermönche haben im 12. Jahrhundert den Chasselas in die Hänge der Region gebracht, nach Dézaley, St-Saphorin und Epesses. Sie brachten den Menschen hier den Weinbau bei. Mit dieser einzigartigen Geschichte wurde ich überall konfrontiert, wo ich gearbeitet habe, sei es in Vevey oder St-Saphorin.

Und was macht ihn einzigartig vom Geschmack her?

Der Chasselas hat je nach Terroir einen ganz spezifischen Geschmack. Das macht ihn so faszinierend. Jede grosse Rebsorte ist auch ein Ausdruck des Untergrunds, auf der sie wächst. Beim Chasselas kommt es darauf an, ob er auf Molasse, Moränenmaterial oder Mergel gedeiht. Der Moränenuntergrund ist ein Überbleibsel des eiszeitlichen Rhônegletschers. An manchen Stellen zwischen dem Wallis und Genf überwiegen Steine, an anderen Sand. Die grössten Feinheiten entwickelt der Chasselas zwischen Chardonne, St-Saphorin und Epesses: Dieses Terroir ist der Sonne am meisten ausgesetzt. Aus diesem Grund sagt man auch, das Lavaux habe drei Sonnen: die Sonne selbst, die Steine im Untergrund, welche die Wärme den Wurzeln zuführen, und den Genfersee, der die Sonne zurück auf die Rebberge schlägt und den Trauben zusätzliche Wärme liefert. Die Trauben im Lavaux reifen also sozusagen dreifach, das hebt diesen Chasselas von allen andern ab.

Ein Weinkenner kann diese unterschiedlichen Chasselas-Terroirs also gut unterscheiden?

Ja, jedenfalls war das früher so. Der Wein aus dem Gebiet La Côte hatte eine florale Note, ein Dézaley aus dem Lavaux war aufgrund seiner Reife und Schwere identifizierbar. Man nahm den Wein an die Nase, roch daran und konnte sagen, auf welchem Untergrund er reifte. Heute hat sich die Gesetzeslage so geändert, dass der Winzer auch nur einen gewissen Prozentsatz AOC-Wein verwenden kann. Ein Beispiel: ein AOC-St-Saphorin enthält 60% Wein aus dem Anbaugebiet St-Saphorin, aber 40% können von einer anderen Appellation stammen. Das macht es sehr schwierig zu erkennen, aus welchem Anbaugebiet der fertige Wein mehrheitlich stammt. Bei den Grands Crus ist es etwas einfacher, aber auch da dürfen 10% des Weins aus einem anderen Anbaugebiet stammen.

Kann die Möglichkeit zu mischen nicht auch als Vorteil aufgefasst werden, als Möglichkeit, ganz neue Aromen zu kreieren?

Man muss zwei Dinge unterscheiden: Man kann Wein machen oder ihn fabrizieren. Wer Wein macht, respektiert sein Terroir und arbeitet mit seinen Gegebenheiten wie Klima, Untergrund, Rebsorte. Der Winzer ist dann eine Art Dirigent, der das Orchester – das, was die Natur ihm gibt – begleitet. Dann gibt es die Weinfabrikanten. Sie nehmen unterschiedliche Weine und mischen sie so lange, bis das Produkt trinkbar ist und verkauft werden kann. Es geht nur ums Geschäft. Man kreiert noch eine schöne Etikette, schreibt z. B. Daniel SA darauf und verkauft die Flaschen an die Supermärkte.

Keine Grenzen für die Weinliebhaber!

Findet man auf Ihrer Weinkarte auch Chasselas z. B. aus der Region Vully?

Ja! Meine Philosophie lautet: keine Grenzen für den Weinliebhaber! Auf der anderen Seite ist es natürlich schon so, dass die Weinkarte einen Akzent auf Weinen aus unserer Region aufweist. Getreu der Devise, die auch in der Küche gilt, wonach wir lokale Anbieter berücksichtigen. Die Appellation Chardonne ist also gut vertreten, weil wir uns in diesem Terroir befinden.

Repräsentiert ist die ganze Schweiz, von Genf über das Wallis bis ins Graubünden und nach Zürich. Das Ausland ist mit Weinen aus Frankreich, Italien und Spanien vertreten.

Kann man sagen, welcher Prozentsatz an Winzern blosse Fabrikanten sind?

Die Schweiz kann sich über hochstehende Weine hervortun und sollte keine Weine fabrizieren. Was bei den Uhren funktioniert, kann auch beim Wein funktionieren. Ich bin der Meinung, dass der grösste Teil der Winzer dies verstanden hat und danach lebt. Sie sind der Stolz der Schweiz. Es hat aber sicher weniger Wein-Macher und mehr Wein-Fabrikanten als früher: Das Leben ist teurer geworden, und man muss schauen, wie man seinen Lebensunterhalt verdienen kann.

Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen drückt sich natürlich auch im Preis aus. Eine Flasche Weisswein von Jacques Tatasciore kann in einem Restaurant 250 Franken und mehr kosten. Eine von Gantenbein 400 oder 600 Franken. Ein Merlot Vinattieri 150 bis 200 Franken. Wieso? Weil diese Weine mit einem Höchstmass an Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit gekeltert wurden und sich vor ausländischer Konkurrenz nicht zu verstecken brauchen.

Sie finden auf der Karte also auch Weine, die zu den gesuchtesten in der Schweiz gehören, etwa den Grünen Veltliner Vinotheksfüllung Smaragd vom österreichischen Weingut Knoll oder Weine vom deutschen Weingut Egon Müller. Es gibt Weinliebhaber, die zu mir kommen, weil sie wissen, dass ich Weine besitze, die sie sonst nirgends finden, weil der Winzer nur mit mir spricht und diese Flaschen nur an mich verkauft. Und wenn es heisst, die Schweizer Weine seien teuer, dann liegt es eben daran, dass es immer noch viele Wein-Macher gibt. Wenn wir beginnen, nur noch Wein zu fabrizieren, der 2 oder 3 Euro kostet, dann bewegen wir uns auf dem Niveau von gewissen Weinen aus Italien oder Spanien.

In welcher Preisklasse startet Ihre Weinkarte?

Auch hier: Was in der Küche gilt, gilt für die Weinkarte, d. h. auch sie ist «demokratisch». Wir haben einen Schwerpunkt bei den Halbliterflaschen, die schon für weniger als 30 Franken erhältlich sind. Wer einfach nur ein Glas Wein geniessen will, kommt ebenfalls auf seine Kosten: Ein Glas Wein gibt es ab 5.90. In einem Fünfsternehotel bezahlt man dafür leicht 15 bis 25 Franken. Die grossen Weine haben natürlich ihren Preis. Aber der Weinliebhaber, der vergleicht und weiss, wie viel ein bestimmter Wein kostet, sieht sofort, dass die Preise korrekt sind. Zu erwähnen ist, dass die Weinkarte von Swiss Wine mit der höchsten Punktzahl bewertet wurde. Das ist eine Anerkennung dafür, dass wir eine ausgezeichnete Auswahl an Schweizer Weinen führen. Für die Kundschaft, die sehr wählerisch ist und eine aus­serordentliche Qualität sucht, führen wir die «Séléction pour les Gosiers d’Or»: ganz seltene Weine, die man nur schwer findet. Gemeinsam ist allen Weinen, das ich sie alle degustiert und sorgfältig ausgesucht habe – eine blosse Empfehlung eines Winzers genügt nicht.

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2/3 Hoch über Vevey bietet sich von der Terrasse des «Chalet» aus ein spektakulärer Ausblick auf Alpen und Genfersee.

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Ich habe gesehen, dass Sie auch Flaschen führen, die nummeriert sind, z. B. mit 124/199.

Diese Weine sind exklusiv bei mir erhältlich. Es handelt sich dabei um Weine, die ich zusammen mit ausgewählten Winzern mache. Zum Beispiel den Syrah JAB, wobei das JAB für Jérôme Aké Béda steht. Ich begleite den ganzen Prozess, wähle die Rebsorte aus, degustiere und validiere die Vinifikation. Gelegentlich muss ich dem Winzer auch Décharge erteilen. Denn wenn ich möchte, dass z. B. auf die Filtrierung und jegliche Weinschönung («collage») verzichtet wird, übernehme ich alleine die Verantwortung für allfällige Schwebeteilchen, Ablagerungen oder geschmackliche Abweichungen.

Ich sehe mich hier auch als Unternehmer. Diese müssen Risiken eingehen, wenn sie vorwärtskommen wollen. Wer immer nur das tut, was er es kann und von dem er weiss, dass nichts schiefgehen kann, bleibt stehen. Dasselbe gilt für die grossen Winzer, die Neues ausprobieren, sie sind eben die Wein-Macher und nicht die Wein-Fabrikanten.

Welches ist Ihr bevorzugter Wein?

Ich bevorzuge den Chasselas und den Pinot noir, wenn sie mit Präzision vinifiziert wurden.

«Der Chasselas wird besser mit dem Alter.»

Wie halten Sie sich auf dem Laufenden?

Um sich auf dem Laufenden zu halten, muss man die Winzer besuchen. Dazu nutze ich meine Ferien, die mich dann in die Schweiz, nach Italien, Frankreich, Spanien oder Portugal führen. Zudem lese ich viel einschlägige Literatur. Wichtig sind Degustationen im Kreis von Freunden. So lernt man von den andern und macht neue Entdeckungen. Voraussetzung dazu ist ein offener Geist. Dazu kommen Besuche von Weinmessen, hier hat man die Möglichkeit, in kurzer Zeit viele Weine zu degustieren.

Wie wichtig ist der Mondial du Chasselas für Sie?

Ich war oft Mitglied der Jury, in letzter Zeit hatte ich aber zu wenig Zeit für diese Tätigkeit. Und jetzt liegt mein Fokus auf dem «Chalet». Aber es macht mir Freude, die Weine der Medaillisten auszuprobieren und das Urteil der Jury nachzuvollziehen versuchen.

Hat der Klimawandel einen Einfluss auf den Ertrag der Reben und die Qualität des Weins?

Ja, das ist ein grosses Problem, vor allem für die Reben an Lagen, die stark der Sonne ausgesetzt sind. Die Weine haben dann die Tendenz, zu voll und zu schwer zu werden. Gerade das Rhônetal und Lagen am Genfersee sind stark betroffen, weil die Sonne eigentlich immer da ist. Damit die Trauben nicht zu reif werden, müssen sie rechtzeitig gelesen werden – oder man verlängert die Fermentation. Eine Antwort auf den Klimawandel ist der biodynamische Weinanbau, der heute schon sehr verbreitet ist. Er führt zu einem niedrigeren PH-Wert des Bodens und damit zu bekömmlicheren Weinen.

Es gibt Chasselas, die zehn Jahre und länger aufbewahrt werden können. Ist die Faustregel, dass Weisswein schnell getrunken werden sollte, falsch?

JA, das ist ein Irrtum, ein grosser Irrtum! Der Chasselas wird besser mit dem Alter. Alte Chasselas sind fantastisch, aber man muss sie finden …

Früher hatte der Chasselas keinen sehr guten Ruf …

Ich glaube, es war in den 1990-er-Jahren, als der Chasselas im Verruf war. Den Winzern wurde empfohlen, diese Reben zu entfernen und die Eidgenossenschaft hat sogar eine Prämie für das Ausreissen ausgesetzt. Man erhoffte sich mit andern Rebsorten eine grössere Vielfalt und eine Antwort auf die Konkurrenz aus dem Ausland. Dadurch hat der Chasselas an Anbaugebiet verloren. Trotzdem ist die Schweiz weltweit immer noch an dritter Stelle, hinter Rumänien und Ungarn. Dort wird der Chasselas allerdings mehrheitlich zum Mischen und zur Herstellung von Schaumwein verwendet. Deshalb stehen wir an erster Stelle, wenn es um Chasselas in Flaschen geht.

Auch im Elsass wird Chasselas angebaut, mengenmässig ist das aber vernachlässigbar. In Deutschland produziert man ihn im Markgräflerland. In der Schweiz ist er am verbreitetsten in der Romandie, punktuell findet man ihn im Baselbiet – in Aesch – und im Tessin bei Gian Franco Chiesa Rovio. Er nennt seinen Chasselas Bianco di Pugerna. Heute ist der Chasselas eine Spezialität und der Stolz der Weinbauern!

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