Wir wollen das beste Radrennen der Welt sein
Die Tour de Suisse - das beste Radrennen der Welt? David Loosli organisiert seit zehn Jahren die Tour de Suisse. Im Gespräch spricht der Berner über die Herausforderungen bei der Streckenwahl und seine Visionen sowie über die Austragung in diesem Jahr. Und der frühere Radprofi gibt Tipps, wie man Berge als Hobbyfahrer am besten hochfährt.
Sie feiern dieses Jahr das 10-Jahr-Jubiläum als Sportdirektor der Tour de Suisse. Wie sind Sie zufrieden mit der Entwicklung?
David Loosli: Jetzt sind es wirklich schon zehn Jahre (schmunzelt)! Generell kann ich sagen, dass es uns gelungen ist, die Tour de Suisse noch stärker in allen Landesteilen der Schweiz zu verankern. Aber die letzten Jahre waren wegen der Pandemie auch für uns eine besondere Herausforderung. Jetzt freuen wir uns auf die Austragung 2023, weil die Tour wieder ohne Restriktionen über die Bühne geht.
Sie sind Head Sports bei «Cycling Unlimited». Was heisst das genau?
Einfach ausgedrückt: Ich bin verantwortlich für alle sportlichen Bereiche. Natürlich ist die Leitung der Tour de Suisse der mit Abstand wichtigste Punkt, rund 80 Prozent meiner Arbeit beschäftige ich mich damit. Zudem leite ich auch die Planungen für die Tour de Suisse Women.
Wann beginnt die Vorbereitung auf die nächste Austragung der Tour de Suisse bei den Männern?
Oft sind das fliessende Übergänge, wobei wir grundsätzlich direkt nach dem Ende einer Austragung mit der Organisation der nächsten beginnen. Etappenorte werden meistens schon vorher bestimmt.
Was sind die grössten Herausforderungen bei der Planung?
In der Schweiz sind die Strassen extrem belegt, der Verkehr nimmt immer stärker zu. Es ist deshalb jeweils mit viel Aufwand verbunden, Bewilligungen zu erhalten, um Strassen abzusperren. Es ist entscheidend, dass die Strecken sicher sind. Es gibt beispielsweise viele 30erZonen und Bahnübergänge, aber auch andere verkehrsberuhigende Massnahmen wie Kreisel oder Inseln können gefährlich sein. Deshalb fahre ich jeden Meter mehrmals mit dem Auto ab, damit wir die Gewissheit haben, tatsächlich eine ideale Strecke gefunden zu haben.
Nehmen wir das fiktive Beispiel einer Etappe von Basel nach Zürich: Es sind also Sie, die darüber entscheiden, auf welchem Weg die Radprofis von der einen Stadt zur anderen fahren?
Sie können sich vorstellen, dass es viele Möglichkeiten gibt, von Basel nach Zürich zu fahren. Als erstes geht es darum, alle erwähnten Stolpersteine zu eliminieren. Selbstverständlich habe ich als Direktor ein Vorschlagsrecht. Letztlich reden aber viele Parteien mit, nicht zuletzt auch die Polizei, weil die Sicherheit am wichtigsten ist.
Ist es spannend oder mühsam, eine interessante, anspruchsvolle Strecke zwischen Basel und Zürich zu finden?
Ganz ehrlich: beides! In diesem Jahr geht es einmal von Fiesch nach La Punt, das sind rund 220 Kilometer, da bleibt nicht viel Spielraum, da suchen wir den möglichst direktesten Weg. Aber es gibt Strecken mit unzähligen Möglichkeiten, das mag ich sehr. Und logischerweise ist es in unserem Interesse, die traumhafte Landschaft der Schweiz im besten Licht zu präsentieren.
Es sollen also schöne Bilder produziert werden können.
Genau. Viele Menschen schauen sich Radrundfahrten wie die Tour de Suisse oder die Tour de France am TV auch deshalb an. Als Organisator ist es uns zudem wichtig, dass es für alle Fahrer etwas hat, dass also die Sprinter und die Bergfahrer und die Zeitfahrspezialisten auf ihre Kosten kommen. Im Idealfall ist eine Tour de Suisse zudem bis zum letzten Tag nicht entschieden. Auch das kann man ein wenig steuern mit einem ausgewogenen Streckenplan.
Und welches ist Ihr Lieblingsort, an den Sie mit der Tour de Suisse unbedingt noch einmal hingehen möchten?
Ich bin ja selber immer noch Hobbyradfahrer und kenne zahlreiche schöne Gegenden. Viele Kollegen empfehlen uns den Sanetschpass im Wallis.
Der Besuch an der Tour de Suisse ist für das Publikum gratis. Warum verlangen Sie eigentlich keinen Eintritt?
Das ist ein interessanter Aspekt, weil uns gerade die Polizeieinsätze zur Gewährung der Sicherheit einiges kosten. Aber das lässt sich nicht umsetzen bei einer Million Zuschauern während einer Tour de Suisse. Man müsste ja die gesamte Strecke zusätzlich absperren. Und die Sponsoren sowie die Etappenorte möchten möglichst viele Besucher am Strassenrand. Aber es gibt sicher die Option, im Zielgelände exklusive Zonen zu errichten. Denn es ist schon fantastisch, wie nahe man selbst den grössten Radstars vor und nach einem Rennen kommen kann. Vergleichen Sie das einmal mit einem Fussballmatch.
Gemessen an den Zuschauerzahlen ist die Tour de Suisse der grösste Anlass der Schweiz. Das Budget beträgt rund sieben Millionen Franken – in dieser Beziehung gibt es grössere Veranstaltungen. Wo ordnen Sie die Tour de Suisse ein?
Wir dürfen schon selbstbewusst sein und sagen, dass es keinen grösseren Event in unserem Land gibt. Denken Sie an die TV-Abdeckung: Die Tour wird in über 150 Ländern übertragen. Zudem sind wir im ganzen Land unterwegs und nicht nur an einem Ort wie andere bedeutende Veranstaltungen.
Hat sich die Tour de Suisse eigentlich etabliert als viertgrösste Rundfahrt hinter der Tour de France, dem Giro d’Italia und der Vuelta a España?
Das würde ich sagen, ja. Wir haben acht Renntage und ein breites Fahrerfeld. Zudem ist die Positionierung im Kalender ideal, nach dem Giro und vor der Tour de France. Aber die Tour de France steht im Radsport weit über allem anderen, dort gibt es allein 100 Vollzeitstellen im Bereich Marketing und Umsetzung. Bei uns ist ein relativ kleines Team in die Organisation involviert, während der Tour de Suisse sind rund 200 Personen tätig. Meine Hauptarbeit ist dann abgeschlossen, und es stört mich nicht, wenn ich an einem Renntag nicht im Mittelpunkt stehe. Denn das bedeutet, dass es keine Probleme gibt.
Welches war für Sie das schlimmste Erlebnis während einer Tour?
Schwere Stürze von Fahrern sind immer unangenehm. Organisatorisch gesehen war es sehr herausfordernd, als wir einmal einen Etappenstart innerhalb weniger Stunden verschieben mussten, weil es rund um Davos in der Nacht plötzlich geschneit hat.
Die Tour de Suisse – das beste Radrennen der Welt?
Die Tour de France startet oft im Ausland. Gibt es solche Überlegungen auch bei Ihnen?
Warum nicht? Im näheren Ausland, etwa in Sölden, waren wir ja schon. Aber die Tour de France ist eine Weltmarke. Mit der Tour de Suisse wollen wir in der Schweiz sein und unser Land zeigen. Zudem ist es aus ökologischer Sicht nicht ideal, wenn man sich mit dem Flugzeug verschieben muss. Wir haben aber auch Visionen.
Nämlich?
Wir wollen das beste Radrennen der Welt sein. Dabei geht es nicht um den sportlichen Aspekt, da werden wir gegen die Tour de France nie eine Chance haben. Aber wir können das am besten organisierte Radrennen sein. Wir wollen innovativ sein, da haben wir einige Ideen im Kopf. Die Formate der Etappe verändern sich mit dem Zeitgeist, da kommen neue Sachen. Warum machen wir nicht einmal ein Zeitfahren am Abend um 20 Uhr in Bern auf dem Bundesplatz vor einer halben Million Zuschauer?
Wie beurteilen Sie den Radsport in der Schweiz allgemein?
Die Entwicklung ist sehr erfreulich. Wir haben einige Weltklassefahrer, was für ein Land wie die Schweiz nicht selbstverständlich ist. Gleichzeitig beweist die Lancierung von gleich zwei Schweizer Teams, dass auch die Sponsoren wieder verstärkt in unseren Sport investieren. Das ist insbesondere für die Nachwuchsförderung zentral.
Die WIR Bank sponsert ab diesem Jahr die Bergpreiswertung. Welches sind diesbezüglich 2023 die Höhepunkte?
Wir haben wie gesagt drei wunderbare, schwere Bergetappen. Die härteste geht nach La Punt und über die Furka, den Oberalp sowie den Albula. Das wird ein Spektakel. Aber auch in Leukerbad und Villars-sur-Ollon sind wir zu Gast.
Sie wurden 2008 Zweiter im Bergpreisklassement der Tour de Suisse. Welche Tipps haben Sie für Hobbyfahrer, wenn diese über Furka, Oberalp und Albula fahren wollen?
Der beste Tipp ist, sich zeitlich kein Ziel vorzunehmen und nicht auf den Tacho zu schauen. Man darf sich nicht anstecken lassen von den Kollegen, weil diese Pässe ganz schön lang sein können. Man soll nicht auf den Computer und andere hören, sondern auf die Beine.
Das Interview wurde im Februar 2023 geführt.
Zur Person
Der 42-jährige David Loosli war selbst ein guter Radprofi und ist immer noch viel mit dem Velo unterwegs. 2008 belegte er an der Tour de Suisse in der Bergwertung Rang 2. Der Berner nahm viermal an der Tour de France sowie je zweimal am Giro d’Italia und an der Vuelta teil. Loosli organisiert die Tour de Suisse seit 2013 – und ist seit Jahren SRF-Experte an der Tour de France. Mit seiner Frau und den zwei Kindern lebt er in der Ostschweiz. Im Sommer fischt er gerne, im Winter steht er oft auf den Skiern.
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