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Solidarität im Eigeninteresse

11 min.
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von Claudio Gisler

22 Beiträge

Die ersten Lockerungen nach dem neuerlichen Lockdown sind da. Doch im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie verbleiben auch wirtschaftlich noch sehr viele Fragezeichen. Dabei liegen einige Antworten auf der Hand.

Covid hat schon viele Opfer gefordert – auch in der Wirtschaft. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer leiden, weil sie ihre Geschäfte schliessen mussten. Einigen war es möglich, einen Teil des Schadens durch den Ausbau des Online-Geschäfts abzufedern. Andere haben zum Teil mit sehr kreativen Ideen auf sich aufmerksam gemacht.

Für viele gab es aber schlicht keine Möglichkeit, alternative Einnahmequellen anzuzapfen: seien das Messebauer, Künstler oder Restaurants. Bei einigen ist sogar noch mit «Folgeschäden» zu rechnen. So bleibt das Modegeschäft auf seiner Winterkollektion sitzen, muss aber bereits in Frühjahr-/Sommer-/Herbstkollektion investieren – ohne zu wissen, wie lange das Geschäft offen sein darf.

Getroffen hat es vor allem kleine und mittelgrosse Unternehmen (KMU). Und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen konnten sie keine Geschäfte machen – und zum anderen sind viele ihrer Kunden in dieser Zeit auf Onlineshops von Grosskonzernen oder internationalen Anbietern ausgewichen.

 

Arbeitsplätze in Gefahr

Dabei geht es für uns alle um viel. Sehr viel. Denn KMU stellen mit einem Anteil von 67 Prozent zwei von drei Arbeitsplätze. Müssen die Unternehmen schliessen (oder machen sie weniger Geschäfte), fallen diese Arbeitsplätze dahin – die Arbeitslosigkeit wird steigen. Und das ist bereits passiert: Seit Januar 2020 sind die Arbeitslosenzahlen um 40 Prozent gestiegen.

«Es kann zu einer gefährlichen Negativspirale kommen.»

Wer arbeitslos ist, hat weniger Einkommen und lebt in Unsicherheit. Deshalb schränken Arbeitslose ihren Konsum ein – insbesondere bei langlebigen Gütern. Und wenn weniger konsumiert wird, sinken wiederum die Ertragschancen für die KMU. Wenn die Unternehmen weniger verdienen, werden sie selber mit eigenen Investitionen zurückhaltender. Das Resultat: Es kann zu einer gefährlichen Negativspirale kommen.

 

Es wäre doch so einfach

Es wäre also eigentlich alles ganz einfach: Wir kaufen alle so viel wie möglich bei KMU ein. Und KMU vergeben ihre Aufträge an andere KMU – anstatt an Grossfirmen und internationale Anbieter.

Aus irgendwelchen Gründen scheint das aber (noch) nicht zu funktionieren. Man bestellt sich Produkte lieber direkt bei chinesischen Anbietern, berücksichtigt nur den günstigsten Onlineshop eines Grossunternehmens oder kauft Billigmöbel bei einem schwedischen Möbelhersteller. Am Wochenende fährt man dann kurz über die Grenze nach Deutschland und kauft seine Produkte dort ein.

Irgendwie wissen aber alle, vielleicht auch nur instinktiv, dass das nicht besonders clever ist. Aber man tut es aus Eigeninteresse. Man will sein eigenes Portemonnaie schonen. Denn weniger für ein Produkt ausgeben heisst, sich mehr Produkte kaufen zu können. Man kann sich also mehr Wünsche und Träume erfüllen – und glaubt deshalb, glücklicher zu sein.

Eine Verhaltensänderung scheint da schwer zu sein, denn wer will denn schon sein Glück «einschränken»?

 

Das Zauberwort heisst Solidarität

In wirtschaftlich (und gesellschaftlich) schwierigen Zeiten wird deshalb Solidarität wichtig. So auch im März 2020: Google verzeichnete fast fünfzehnmal mehr Anfragen nach «Solidarität» als üblich.

Meist rufen Menschen und Unternehmen, die in Not sind, zur Solidarität mit ihnen auf. Manch einer wird sich fragen, weshalb man mit diesen solidarisch sein soll. Ganz nach dem Motto: «Mir hilft ja auch niemand, wenn ich Not bin.»

Aber das greift zu kurz. Solidarität hat immer auch eine Eigeninteressen-Komponente. Jürgen Habermas, ein deutscher Philosoph und Soziologe, erklärte das in einem Gespräch so: «Wer sich solidarisch verhält, nimmt im Vertrauen darauf, dass sich der andere in ähnlichen Situationen ebenso verhalten wird, im langfristigen Eigeninteresse Nachteile in Kauf.»

Wer solidarisch ist, hofft also immer darauf, dass auch andere Solidarität mit ihm zeigen. Damit das funktioniert, muss aber jemand den Anfang machen. Jemand muss den ersten Schritt machen und seine Solidarität mit dem anderen beweisen. Das braucht Vertrauen – und dieses kann enttäuscht werden.

 

Solidarität braucht System

Gewerbetreibende standen in den Dreissigerjahren während der Wirtschaftskrise vor dem gleichen Problem. Sie erkannten, dass nur solidarisches Handeln sie aus der Krise führen kann. Sie merkten aber auch, dass sie sicherstellen mussten, dass die Solidarität von allen eingehalten wird.

«Derjenige, der von der Solidarität profitiert, zeigt sich selbst auch wieder solidarisch.»

Sie erfanden deshalb ein «System», das diejenigen, die von der Solidarität anderer KMU profitierten, selbst auch wieder solidarisch mit anderen KMU sein mussten. Wer Aufträge von befreundeten Unternehmen erhält, soll selbst auch Aufträge an diese Unternehmen vergeben.

Um die gegenseitige Solidarität sicherzustellen, wählten sie einen ganz einfachen Mechanismus: eigenes Geld. Geld, das nur innerhalb der gleichgesinnten Unternehmen zirkulieren kann. So ist sichergestellt, dass derjenige, der von Solidarität profitiert, sich selbst auch wieder solidarisch zeigt.

Manchmal ist die Lösung so einfach. Und es gibt auch einen Beweis dafür, dass sie funktioniert: Das WIR-Geld gibt es noch heute. Und noch heute beweisen tagtäglich rund 28’000 KMU so ihre gegenseitige Loyalität.

 

Solidarität – auch als Bank

Die Solidarität unter den WIR-Teilnehmenden geht aber noch weiter, denn heute ist WIR weit mehr als ein reines Zahlungssystem. WIR ist auch eine Bank, eine grundsolide schweizerische Genossenschaftsbank – und als solche der Solidarität mit den KMU verpflichtet.

Selber ein KMU versteht die Bank WIR die Unternehmer wie keine Zweite und bietet ihnen, den Unternehmen, teilweise auch in Kooperation mit Partnern, vielfältige Produkte: Kredite zu fairen Konditionen, Fremdwährungshandel zu Vorzugskonditionen oder im sogenannten KMU-Paket inbegriffene Zahlungsverkehrskonten.

Auch Privatkunden profitieren von der solidarischen Grundhaltung der Bank WIR – zum Beispiel durch Sparkonten, die ihrem Namen noch gerecht werden. Oder sie freuen sich beispielsweise dank der Kooperation der Bank WIR mit dem Fintech VIAC über eine gute Rendite zu den tiefsten Preisen bei der digitalen Altersvorsorge.

Auf einen Nenner gebracht: Die Bank WIR – und damit einhergehend auch die über 86-jährige WIR-Währung – ist gelebte Solidarität.

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Daniele Ceccarelli ist Rechtsanwalt und war von 1992 bis 2023 Leiter des Rechtsdiensts bzw. Senior Counselor der Bank WIR. In dieser Eigenschaft vertrat er seine Arbeitgeberin in der Idée Coopérative Genossenschaft ICG, deren Mitglied die Bank ist. Seit seiner Pensionierung berät Ceccarelli im Auftrag der ICG Start-ups, die sich als Genossenschaft aufstellen wollen oder die Antworten auf Fragen rund um das Genossenschaftsrecht suchen.

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