«Hart, aber fair»: Tour de Suisse 2024
David Loosli organisiert seit über zehn Jahren die Tour de Suisse. Der Sportdirektor spricht im Interview über den Streckenplan der diesjährigen Ausgabe der Rundfahrt und darüber, wie genau eigentlich die Etappenplanung vorangetrieben wird. Zudem erklärt der Berner, was einen guten Mix ausmacht und was er von Zeitfahren und Bergankünften hält – und welchen Wunsch er bezüglich Zielort der Tour de Suisse hat.
Wir möchten gerne über die Streckenplanung an der Tour de Suisse reden. Wann beginnt dieser Prozess?
David Loosli: In der Regel ungefähr ein Jahr vorher, wenn die Tour de Suisse zu Ende ist. Die Arbeit geht nahtlos weiter. Idealerweise fügen sich die Etappenorte in unserer Planung so zusammen, dass man einen abwechslungsreichen Streckenplan erstellen kann.
Welches sind dabei die wichtigsten Aspekte, die Sie als Organisator zu berücksichtigen haben?
Wir schliessen Verträge mit interessierten Städten und Regionen ab. Das können sogar Mehrjahresverträge sein, aber auch solche, in denen vereinbart wird, dass die Tour de Suisse beispielsweise dreimal in zehn Jahren vorbeikommt. Solche Abmachungen geben uns eine gewisse Planungssicherheit. Es geht aber auch darum, dass man Richtlinien befolgt. Eine Etappe darf reglementarisch nie länger als 240 Kilometer sein. Wir möchten 2024 in allen drei grossen Sprachregionen vertreten sein. Und unsere Partner haben natürlich auch Wünsche. Für Sponsoren ist es interessant, wenn es schöne TV-Bilder gibt, was in der Schweiz zum Glück fast überall der Fall ist. Etappen über grosse Pässe haben unter der Woche weniger Zuschauer. Es gibt viele solche Punkte, auf die wir Rücksicht nehmen. Es gilt, einen möglichst guten Mix aus sportlichen und kommerziellen Aspekten zu finden.
Wie schwierig ist diese Arbeit?
Es ist herausfordernd, aber sehr spannend. Auch als Sportdirektor der Tour de Suisse kann ich nicht machen, was ich will. Es gibt Leitplanken durch den Internationalen Radverband, und wir haben Vorschriften oder zumindest klare Vorstellungen, wie lange eine Etappe dauern soll. Da gehen wir so von vier, fünf Stunden aus, in den Bergen kann das bei einem Schnitt von vielleicht 170 Kilometern pro Etappe aber schon mal eine Stunde länger gehen. Am längsten dauert die Detailplanung. Wo fahren wir genau durch? Mit wem müssen wir das absprechen? Was ist die schönste Route, was die beste, was jene, die am meisten Spannung verspricht?
Wenn Sie wissen, dass eine Etappe wie in diesem Jahr von Rüschlikon auf den Gotthardpass führt: Schauen Sie dann zuerst einmal auf der Karte, welche Möglichkeiten es gibt?
Ja, das ist tatsächlich der erste Schritt. Die meisten Strassen in der Schweiz, die für die Tour de Suisse infrage kommen, kenne ich mittlerweile. In Ihrem Beispiel fahren wir durch sechs Kantone, da gilt es alle notwendigen Bewilligungen durch die Behörden und die Polizei zu holen. Ich fahre jede Strecke mindestens zweimal mit dem Auto ab, weil es viele Dinge wie Bahnübergänge oder Abfahrten gibt, die man sehr genau anschauen muss. An den Etappenorten bin ich während der Planung mindestens dreimal.
Was könnte gegen eine Route sprechen, die Sie auf der Karte als ideal angesehen haben?
Das kann unterschiedliche Gründe haben. Vielleicht ist eine Abfahrt zu gefährlich, vielleicht ist es aus verkehrstechnischer Sicht nicht möglich, auf einer Strasse zu fahren. Es kommt oft auch darauf an, um welche Zeit und an welchem Wochentag wir unterwegs sind. Zudem gibt es andere Veranstaltungen oder Baustellen, die wir umfahren müssen.
Welche Lehren haben Sie aus dem schrecklichen Unfall des Schweizer Fahrers Gino Mäder im letzten Jahr gezogen?
Der Tod von Gino erschüttert uns immer noch sehr. Leider lassen sich solche Tragödien nicht zu 100 Prozent verhindern, es kann immer etwas passieren. Wir haben uns bezüglich Streckenführung noch einmal stark hinterfragt, doch gerade bei Abfahrten gibt es keine absolute Sicherheit. Leider hat Ginos Unfall gezeigt, dass ein gewisses Risiko immer mitfährt. Wir können aber möglicherweise gefährliche Situationen antizipieren und verhindern. In diesem Jahr beispielsweise endet eine Etappe auf dem Gotthardpass. Man hätte das Ziel auch im Tal unten wählen können, aber das wäre nach dem strengen Aufstieg mit einer weiteren Abfahrt verbunden gewesen. Dieses Szenario haben wir bewusst vermieden.
Was war Ihnen 2024 bei der Planung der Tour de Suisse besonders wichtig?
Es ist elementar, dass wir möglichst in der ganzen Schweiz vertreten sind und das Tessin und die Westschweiz nie vergessen. Das ist uns dieses Jahr erneut sehr gut gelungen. Am wichtigsten ist wie gesagt aber immer die Sicherheit. Dann ist es wünschenswert, dass die Tour erst gegen Ende und im besten Fall am letzten Tag entschieden wird. Deshalb wird es zum Beispiel nie drei Bergankünfte an den ersten drei Tagen geben. Eine gute Rundfahrt zeichnet sich auch dadurch aus, dass alle Fahrertypen zum Zug kommen, von den Sprintern über die Zeitfahrspezialisten bis zu den Kletterern.
Was sind für Sie die Höhepunkte in der diesjährigen Tour de Suisse?
Jeder Tag (lacht). Wir möchten eigentlich nicht auf eine sogenannte Königsetappe reduziert werden, weil das den anderen Etappen nie gerecht wird. Ich denke, wir haben eine harte, aber faire Tour zusammengestellt, die für alle etwas hat.
«Die Definition einer Bergetappe ist keine exakte Wissenschaft.»
Täuscht der Eindruck oder sind Zeitfahren weniger populär als früher oder zumindest kürzer geworden?
Das kann man nicht verallgemeinern. In den vergangenen Jahren hatten wir immer ein oder auch zwei Zeitfahren im Parcours. Für die Etappenorte sind Zeitfahren interessant, weil sie länger am TV präsent sind. Was stimmt: Lange Zeitfahren von 40, 50 Kilometern sind ein wenig aus der Mode gekommen, weil sie sportlich gesehen für die Zuschauer nicht besonders spannend sind. Man wartet ja eigentlich nur auf die Zeiten. Eine coole Disziplin finde ich Teamzeitfahren, da möchten wir schon regelmässig wieder eines im Streckenplan haben.
Dieses Jahr beginnt die Tour de Suisse in Vaduz. Aber grundsätzlich gehen Sie nicht sehr oft ins Ausland. Warum?
Wir waren drei Jahre in Sölden, das war ein Mehrjahresvertrag. Am Ende sind wir aber die Tour de Suisse und möchten in unserem Land fahren. Das ist nicht zuletzt im Sinn der Partner und Sponsoren, die im Ausland weniger oder gar nicht präsent sind. Zudem ist es im Ausland noch komplizierter, alle Bewilligungen einzuholen und die Streckensicherung zu organisieren.
Wie wichtig ist es für Sie, auch teilweise weltberühmte Orte wie Gstaad, Verbier oder St. Moritz als Partner zu haben?
Grundsätzlich ist es ein Wunsch, möglichst attraktive Orte regelmässig zu besuchen. Bergankünfte halte ich für sehr spektakulär, zumal es in der Schweiz enorm viele traumhafte Regionen in den Alpen gibt. In Crans-Montana und Verbier waren wir oft, in Gstaad auch. Aber wir müssen nicht jedes Jahr in fünf Premiumdestinationen bezüglich Tourismus sein, die ja oft in den Bergen liegen. Die Schweiz ist sehr vielfältig. Oft haben Destinationen auch andere Pläne, setzen etwa auf Mountainbikerennen oder andere Veranstaltungen. Alle Austragungsorte bezahlen dafür, Gastgeber einer Etappe der Tour de Suisse sein zu dürfen.
«Mein Wunsch: dass die Tour jedes Jahr in Bern endet.»
In grossen Städten dürfte die Organisation noch schwieriger sein. Finden Sie es schade, dass die Tour de Suisse nicht öfter in Bern, Zürich, Genf oder Basel ist?
Wir helfen ja bei der Planung der WM im Herbst in Zürich mit. Es ist extrem anspruchsvoll, in Städten schon nur den Verkehr zu koordinieren. Man kann leider nicht stundenlang das Tramnetz lahmlegen oder Strassen absperren. In einer Stadt gibt es 100 Interessengruppen, die sich für ihre Anliegen einsetzen. Und das Gewerbe ist nicht erfreut, wenn ganze Innenstädte stundenlang lahmgelegt werden. Die Tour de France endet in Paris, das ist eine Tradition, aber Frankreich funktioniert anders als die Schweiz und ist sehr zentralistisch.
2024 endet die Tour de Suisse am Wochenende in Villars, wo gleichzeitig die Frauen-Rundfahrt beginnt. Was sind die Vorteile?
In erster Linie sollen das wunderbare Radfeste sein. Es ist natürlich für uns auch angenehm, weil man die Infrastruktur für Rennen am gleichen Ort an den gleichen Tagen aufbauen kann. Und wir sind überzeugt davon, dass das auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer sehr attraktiv ist, weil ja gleich zwei Veranstaltungen stattfinden.
Und wie sehen Ihre Wünsche für die Zukunft aus?
Dass es keine Unfälle gibt. Dass wir weiter in allen Landesteilen vertreten sind. Dass wir wieder stärker in den grossen Städten fahren können. Und es wäre deshalb mein Wunsch, dass die Tour de Suisse jedes Jahr in Bern zu Ende geht.
David Loosli
Der 43-jährige David Loosli war einst selbst ein guter Radprofi – und ist immer noch viel mit dem Velo unterwegs. An der Tour de Suisse belegte er 2008 in der Bergwertung Rang 2. Der Berner nahm insgesamt viermal an der Tour de France sowie je zweimal am Giro d’Italia und an der Vuelta teil. Loosli organisiert die Tour de Suisse seit 2013. In der Öffentlichkeit bekannt ist er zudem als SRF-Experte an der Tour de France. Mit seiner Frau und den zwei Kindern lebt er in der Ostschweiz. Im Sommer fischt der Berner gerne, im Winter steht er oft auf den Skiern.
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