«Gesundheit ist Eigenverantwortung»
Für die Physiotherapeuten Daniel Aregger und Sybille Wassner ist klar, dass sich die Investition von Zeit und Geld in die Gesundheit der Mitarbeitenden für KMU-Chefs längerfristig bezahlt macht.
WIRblog: Was ist Gesundheit?
Sybille Wassner: Gesundheit ist für mich Zufriedenheit – und heisst: sich wohlfühlen.
Gesundheit kostet Zeit.
Daniel Aregger: Gesundheitsförderung wird viel zu oft am Aufwand gemessen: an der Zeit, aber auch am Geld. Auf den ersten Blick ist nicht erkennbar, dass mir Gesundheit finanziell auch etwas bringt. Unter dem Strich spare ich als Unternehmer mehr, wenn ich gesunde Mitarbeitende habe.
Wie kann ein Umdenken bei Arbeitgebern erzielt werden?
Aregger: Aufklärung. Immer und immer wieder. Trotz erhöhtem Tempo durch die Digitalisierung wäre es wichtig, zwischendurch Langsamkeit einzubringen. Nicht nur bei Mitarbeitenden, auch beim Chef. Entschleunigung heisst das Zauberwort.
Tönt in der Theorie einfach, wie sieht die Praxis aus?
Aregger: Mut zur Lücke. Ich als Arbeitgeber empfinde es als sinnvoll, wenn meine Angestellten nicht konstant einen vollen Arbeitsplan haben. Es braucht Puffer, um Luft zu holen. Jetzt heisst es: Unproduktive Zeit generiert aber keinen Ertrag, nur Aufwand. Längerfristig stimmt diese Rechnung eben nicht: Wer jeden Tag zwei Stunden entschleunigt und nicht konstant am Limit arbeitet, ist günstiger als dessen Ausfall über zwei Wochen, der wegen Erschöpfung zwangsläufig früher oder später kommen wird.
Heisst Gesundheit automatisch Sport?
Wassner: Nein. Gesundheit muss mit Bewegung gleichgesetzt werden. Der Mensch ist zur Bewegung geboren, aber unsere Gesellschaft zwingt uns zum Sitzen.
Zu dieser Gesellschaft gehört auch der Arbeitgeber: Wie erziele ich einen «Quick Win»?
Wassner: Aufstehen, bewegen – etwa durch den Einbau aktiver Minipausen. Zudem sollten körperlich Arbeitende nie mit der Arbeit beginnen, ohne sich vorher aufgewärmt zu haben.
Wir gehen davon aus, dass Bewegungsmangel auch in der täglichen Physioarbeit einen grossen Stellenwert einnimmt.
Aregger: Eindeutig. Gesundwerden gelingt nur über Bewegung. Wir müssen unseren Kunden beibringen, wie man auf die «Insel der Bewegung» findet. Die Work-Life-Balance ist heute ein geflügeltes Wort: Ich muss mich neben meiner Arbeit immer wieder erholen können. Ein Beispiel punkto Körpersprache: Wer zu viel Druck am Arbeitsplatz verspürt, zieht zum Schutz häufig die Schultern nach oben. Also ausgerechnet jenen Muskelbereich, der ohnehin schon häufig verspannt ist. Hier können wir Physiotherapeuten also natürlich die muskulären Beschwerden bekämpfen – aber solange der Stress am Arbeitsplatz bestehen bleibt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Schmerzen wieder da sind.
«Gesundwerden gelingt nur über Bewegung.»
Welches sind heute die häufigsten Beschwerden?
Wassner: Die sogenannt «unspezifischen Rückenschmerzen»: also chronische Rückenschmerzen, dann die Hüfte, das Knie – bis hin zur Arthrose.
In welchem Alter?
Aregger: Die Kunden werden immer jünger. Gerade Rückenschmerzen sind schon bei Jugendlichen feststellbar, die in der Ausbildung am Arbeitsplatz zum ersten Mal Druck verspüren oder an der Hochschule lange und konzentriert sitzen müssen.
Das Resultat ist meist eine Verordnung des Arztes für neun Physiobehandlungen. Reicht das?
Wassner: Das hängt davon ab, wie aktiv der Kunde mitmacht. Er muss erkennen, weshalb die Probleme aufgetreten sind – und er muss entsprechend etwas ändern wollen. Ist dies der Fall, hat man Rückenschmerzen in der Regel in vier bis sechs Wochen im Griff.
Aber ich kann nach wie vor nicht direkt zur Physiotherapie kommen, um Prophylaxe zu betreiben, sondern benötige vorgängig einen Arzttermin.
Aregger: Nein, man kann direkt ohne Verordnung in die Physiotherapie gehen. Jedoch werden die Kosten nicht durch die Krankenkassen übernommen. Es gibt aber Bestrebungen, dass die Leistungen der Physiotherapie auch ohne vorgängige Konsultation eines Arztes in Zukunft abgerechnet werden können.
… und wo steht man hier aktuell?
Aregger: Es sind Projekte am Laufen. Pilotphasen sollen gestartet werden. Es geht darum aufzuzeigen, dass der Direktzugang eine sinnvolle Ergänzung im Gesundheitswesen sein kann.
Trotz Fachkräftemangel, der nicht nur bei den Ärzten, sondern auch für die Physiotherapie zählt?
Aregger: Ja. Trotzdem erachte ich den Direktzugang als sinnvoll. Aber: Wir sprechen von einer Mengenausweitung, die den Spardiskussionen im Gesundheitswesen diametral entgegenläuft. Das wird politisch geblockt. Wir reden aber auch hier von einer Investition in eine kostengünstigere Zukunft.
KMU-Power-Event
Physiotherapeutin Sybille Wassner wird im Rahmen unseres Themen-Schwergewichts auch als Referentin an den «KMU-Power-Events» im Einsatz sein. Unter dem Titel «Fitness für Chefs und Mitarbeitende» wird man dabei erfahren, wie Firmen mit einfachen Mitteln zur Gesundheit der Mitarbeitenden beitragen können. Ferner wird das Bindegewebe eine wichtige Rolle spielen – und das Ganze soll, so Wassner, aktiv erlebbar gemacht werden. Zum Jahresauftakt sind zwei Veranstaltungen beim WIR-Network Nordwestschweiz (6. Februar in Münchenstein) und beim WIR-Network Zürich (14. Februar in Zürich) geplant.
Alle Videos unserer KMU-Fitness-Serie finden Sie auf dem YouTube-Kanal der WIR Bank: Film ab!
Welche Effekte sind zum Jahreswechsel zu erkennen?
Aregger: Anfang Jahr sind die Kunden zurückhaltender mit dem Beginn einer Therapie, weil sie wegen der Franchise die Kosten selber bezahlen müssen.
Stichwort «gute Vorsätze»?
Wassner: Die sind zwar eher im Bereich von Fitnessstudios zu finden, aber auch wir werden mit dem Thema konfrontiert. Dabei ist es wichtig, dass erreichbare Ziele gesetzt werden. Wer sich 2018 nie bewegt hat, soll sich für 2019 keinen Marathonlauf vornehmen. Lieber sich drei Mal pro Woche eine halbe Stunde bewegen. Langsam und motiviert anfangen, andernfalls schmerzt nach zwei Wochen der ganze Körper – und die Lust an der Bewegung ist futsch.
Wie finde ich die beste Bewegungsform?
Aregger: Nicht zu weit suchen: mit dem Partner oder der Partnerin spazieren gehen und – statt auf der Couch sitzend – dabei die Wochenplanung besprechen. Erst ganz gemütlich, dann etwas zügiger. Das ist gut fürs Zusammenleben, aber eben auch gut für die Gesundheit. Gleiches gilt am Arbeitsplatz: über den Mittag mit zwei, drei Arbeitskollegen spazieren gehen – statt vor dem Computer noch die neusten Mails zu lesen. Gut fürs Arbeitsklima, gut für die Gesundheit. Es braucht nicht zwingend mehr Zeit – vielmehr gilt es, die vorhandene Zeit intelligent zu nutzen.
Weitere Klassiker für mehr Bewegung?
Wassner: Mit dem Velo oder zu Fuss zur Arbeit, bei der Fahrt mit dem öffentlichen Verkehrsmittel eine Station früher aussteigen.
Aregger: Oder den Drucker nicht gleich neben dem Arbeitsplatz, sondern irgendwo im Gebäude aufstellen. So muss ich aufstehen und mich bewegen, Dokument für Dokument. Der Mix all dieser Ideen machts.
Gibts ein Schlussplädoyer?
Wassner: Heute ist es leider oft so, dass das Thema Gesundheit von sich selbst an eine Fachperson, also beispielsweise uns Physiotherapeuten, «abgegeben» wird. Ich wünsche mir deshalb, dass von jedem und jeder Einzelnen künftig die Eigenverantwortung für die Gesundheit wahrgenommen wird.
Daniel Aregger ist als diplomierter Physiotherapeut und Sportphysiotherapeut Geschäftsführer des Reha-Zentrums Paul Graf in Luzern. Zu seinem Team gehört unter anderen die diplomierte Sportphysiotherapeutin (mit Masterabschluss) und Antara-Instruktorin Sybille Wassner. Aregger ist im Zentralvorstand von physioswiss zudem für das Handlungsfeld «Unternehmertum» verantwortlich.
Fotos: Michael Hochreutener
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