Engstligenalp – tief durchatmen auf der Hochebene
Die Engstligenalp, das im Sommer wie Winter beliebte Hochplateau auf 2000 m ü. M. oberhalb von Adelboden, hat eine bewegte Vergangenheit. Dafür, dass die Erfolgsgeschichte weitergeschrieben wird, sorgt seit dem 1. Mai ein neuer Direktor der Bergbahnen Engstligenalp AG, Bruno Riesen.
«Das Naturerlebnis hier oben ist überwältigend», sagt Bruno Riesen. Er schwärmt von der einzigartigen Alpenflora und den Milliarden von Sternen, die hier in klaren Nächten funkeln, unbeeinträchtigt von Licht- und Luftverschmutzung. Die Natur kann aber auch unerbittlich sein. So legte ein ungewohnt brachialer Föhnsturm über Ostern den gesamten Betrieb lahm. Ansonsten ist die Engstligenalp eine Ganzjahresdestination für alle. Bruno Riesen bewirbt sie mit diesen Worten:
«Einzigartig, vielfältig, abgelegen, autofrei.» Am 1. Mai hat er die Geschäftsleitung der Bergbahnen Engstligenalp AG übernommen. Der Firma, 1999 durch Fusion von drei Vorgängergesellschaften entstanden, gehören neben den Bergbahnen die Skilifte, das Hotel und mehrere Gastrobetriebe.
Vom Weltkonzern zur Bergbahn
Riesen, ein 55-jähriger Innerschweizer, hat eine aussergewöhnliche Laufbahn hinter sich: Der diplomierte Maschineningenieur ETH war von 1999 bis 2022 für Swissport tätig, die weltgrösste Servicegesellschaft für Fluggesellschaften und Flughäfen mit Sitz in Opfikon beim Flughafen Zürich. Unter anderem war Bruno Riesen acht Jahre lang für die gesamte IT der Gruppe verantwortlich, die fast 50 000 Mitarbeitende beschäftigt. Im Mai 2022 nahm er in Adelboden eine Auszeit von seinen anspruchsvollen Managementfunktionen – und kehrte nicht zurück. Stattdessen erwarb er das bernische Wirtepatent und bewarb sich, obwohl überqualifiziert, für die Bedienung der Globi-Nostalgiebahn auf die Engstligenalp. Ganz fremd war ihm die Branche nicht: Während des ETH-Studiums hatte Riesen beim Seilbahnbauer Garaventa ein mehrmonatiges Praktikum absolviert. Nach dem Sommer bei der Globi-Bahn blieb Bruno Riesen den Engstligenalp-Betrieben in den zwei Wintern 2022/23 und 2023/24 als Leiter des Fondue-Iglus erhalten, eines temporären Restaurants mit 200 Sitzplätzen aus Eis und Schnee beim Berghotel. Im Sommer übernahm er mehrere IT-Projekte und half zudem im Service des Bergrestaurants mit. Doch aus der Auszeit in den Berner Bergen ist eine neue, herausfordernde Management-Aufgabe geworden: Als der bisherige Geschäftsleiter kündigte, wählte der Verwaltungsrat Bruno Riesen zum Nachfolger. Jetzt ist er wieder Chef von rund 65 Angestellten im Sommer und rund 100 im Winter.
Engstligenalp: Erlebnisse rund ums Jahr
Die Engstligenalp ist im Winter schneesicher; im Bergfrühling taucht sie ein in ein Meer von Blüten; im Sommer weiden fünfhundert Kühe, Rinder und Ziegen auf der rund sieben Quadratkilometer grossen Ebene. Die Skipisten für alle Schwierigkeitsgrade befinden sich an der Nordflanke der Dreitausender und bekommen erst im Frühling direkte Sonneneinstrahlung ab. Die Wintersaison dauert deshalb von November bis Mai. Auch Eiskletterer, Schneeschuh- und Winterwanderer können ihre Leidenschaft auf der Alp ausleben, und erst recht die Langläufer: Das «Migros Magazin» zählt das «idyllische Hochplateau unter dem Wildstrubel» zu den neun schönsten Langlaufgebieten der Schweiz. Für Skitouren im Frühling oder Bergwanderungen im Sommer und Herbst – zum Beispiel auf das Steghorn, den Wildstrubel oder über den Ammertenpass hinüber an die Lenk im Simmental – ist die Engstligenalp ebenfalls ein idealer Ausgangsort.
Bewegte Geschichte der Engstligenalp
Die Alp hat eine bewegte Geschichte hinter sich: Vor knapp 800 Jahren wurde sie erstmals erwähnt. Im 14. Jahrhundert standen vier Hütten auf der Hochebene. Überliefert ist ein Überfall von Räubern aus dem Wallis, die das Vieh stahlen und die Hütten und den Wald, den es damals hier noch gab, niederbrannten. Heutzutage können auf der Engstligenalp etwa 500 Stück Vieh für 10 Wochen übersömmern. Die traditionelle Alpfahrt vom Tal hinauf durch die Engstligfluh ist jedes Jahr ein eindrückliches Spektakel, das zahllose Schaulustige anlockt. In den Alphütten kann man den Älplern bei der traditionellen Herstellung von Alpkäse über die Schultern schauen, kann sich am Anfang oder Ende einer Wanderung zu einem Älplerfrühstück oder einem Zvieri niederlassen und beim Betrachten der wiederkäuenden Kühe der totalen Entschleunigung hingeben. Wer zu Fuss hinaufkommt oder hinuntergeht, bewundert die beiden tosenden und schäumenden Wasserfälle. Die Kraft des Wassers wird auch genutzt: Seit 2011 liefert ein Kleinwasserkraftwerk naturfreundlichen Strom ins Netz, der für ungefähr 500 Haushalte reicht – viel mehr, als für den Betrieb der Bergbahnen, Hotel- und Gastrobetriebe verbraucht wird.
Die erste Luftseilbahn
Die Familien Müller und Bärtschi eröffneten Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts in der alpinen Idylle Berggasthäuser. 1937 wurde die erste Luftseilbahn für Personentransport im Kanton Bern eingeweiht – vollständig von der Familie Müller finanziert. In Viererkabinen brachte sie sommers wie winters Besucher auf die Alp. Etwa 30 Jahre später wurde sie durch eine Bahn mit Zwölferkabinen ersetzt. Diese fährt heute noch, parallel zur Hauptbahn aus dem Jahr 1972. Zum Gaudium der Kinder ist die ältere Bahn mit ihren roten Kabinen als Globi-Bahn ausgelegt. Globi, die erfolgreichste
Schweizer Bilderbuch-Figur, begeistert Kinder seit rund 90 Jahren. Auf der Engstligenalp ist der Papageienmensch mit gelbem Schnabel und Baskenmütze, blauem Oberkörper und rot-schwarz karierter Hose omnipräsent. Es gibt unterschiedlich lange und schwierige Globi-Pfade, auf denen Kinder jeden Alters spannende Aufgaben lösen können. Im Bergrestaurant kann man Globi-Andenken erstehen. Sogar ein Buch ist der Engstligenalp gewidmet. Es wurde 2020 publiziert und heisst «Globi auf der Alp». Auch die Zwölferbahn konnte den Transport auf die Alp schon bald nicht mehr bewältigen: Nach dem Bau des Skiliftes Dossen wurde 1972 die heutige, dritte Bahn mit 40er-Kabinen in Betrieb genommen. Seither sind die Wintersportanlagen um zwei weitere Skilifte ergänzt worden. Auch die bestehende Bahn stösst an ihre Kapazitätsgrenzen: An Spitzentagen kommt es an der Talstation Adelboden Unter dem Birg wieder zu Wartezeiten. Gut möglich, dass sich die Bergbahnen Engstligenalp AG in absehbarer Zeit mit neuen Bahnprojekten befassen müssen.
Ausbau der Gastronomie und Hotellerie
Vorerst aber sind es vor allem die Beherbergung und die Gastronomie, welche erneuert und ausgebaut werden. So konnten die Bergbahnen das ehemalige Berghotel Bärtschi erwerben. Es wurde zur urchigen, aber hellen und freundlichen «Raclettehütte» mit rund 80 Sitzplätzen umgebaut, wo grossformatige Fotos von Kühen und Käsen die Wände zieren. Während der geschmolzene Käse im Winter im Mittelpunkt stand, will man das Angebot im Sommer um einige wenige typische Speisen erweitern, sagt Stefanie Maurer, die für die «Raclettehütte» verantwortlich ist.
Im Obergeschoss sind acht komfortable Personalzimmer und eine Personalwohnung eingerichtet worden. In den Betrieben arbeiten neben Schweizerinnen und Schweizern auch Angestellte aus Deutschland, Spanien, Ungarn und Venezuela. Für eine derart abgelegene Destination findet man nur dann Personal, wenn man gewisse zusätzliche Leistungen bieten kann, und dazu gehört vor allem die Unterkunft.
In der mehr als 200 Jahre alten Sennhütte neben dem Haupthaus wurden sieben neue Gästezimmer im schlichten, schönen Alpenstil eingerichtet und Anfang Februar 2024 eröffnet. Angelo Kaspar, im Hotel tätig, der uns die neue Unterkunft zeigt, schwärmt vor allem von den zwei Zimmern mit Galerie, in denen sich Familien wohlfühlen können.
Das grösste Projekt jedoch soll ab 2025 realisiert werden: Ein Neubau, verbunden mit dem Haupthaus. Im Untergeschoss soll es einen Wellnessbereich mit Saunen, Whirlpool und Massageraum geben. Im Erdgeschoss sind die neue Rezeption, eine Bar und Lounge sowie drei Gästezimmer geplant. Sieben weitere Zimmer soll es im zweiten Obergeschoss geben und dazwischen, auf dem ersten Sock, vier Seminarräume, die untereinander verbunden werden können und Platz für insgesamt 100 bis 120 Leute bieten. Die Nachfrage nach solchen Räumen für Seminare, Kurse, aber auch für Hochzeiten und andere Familienfeiern sei vorhanden, habe aber auf der Engstligenalp bisher nicht angeboten werden können, sagt Geschäftsleiter Riesen.
Geld von der Bank WIR
Die vergangenen Geschäftsjahre sind für die Bergbahnen Engstligenalp AG erfreulich verlaufen: «Im Geschäftsjahr vom 1. Juni 2022 bis 31. Mai 2023 haben wir rund 260 000 Passagiere mit den beiden Bahnen auf die Alp oder ins Tal transportiert», sagt Bruno Riesen. «Im laufenden Geschäftsjahr werden es noch mehr sein.» VR-Präsident und Mehrheitsaktionär Daniel Fluri nannte an der Generalversammlung im Oktober 2023 positive Zahlen: Der Ertrag aus dem Bahnbetrieb stieg 2022/23 gegenüber dem Vorjahr um rund 300 000 auf über 3,6 Millionen Franken. In der Gastronomie wurden drei Millionen erwirtschaftet, rund eine halbe Million mehr als im Vorjahr. Nach Abschreibungen von 950 000 Franken blieb so ein Jahresgewinn von 193 000 Franken. Für die Millioneninvestitionen benötigt die Gesellschaft trotzdem auch Fremdmittel. «Wir bauen unter anderem mit Krediten der Bank WIR», erklärt Bruno Riesen.
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