«Einfamilienhäuser werden rares Gut»
Homeoffice lässt grüssen: Architekt Philipp Berger stellt als Folge der Corona-Pandemie eine verstärkte Nachfrage nach mehr Wohnraum fest. Der gesetzliche Rahmen lässt nicht unbegrenzt Spielraum.
Die Corona-Pandemie hat uns weiter fest im Griff, etliche Branchen sind entweder von den verordneten Schliessungen direkt betroffen oder spüren indirekt, dass die Verunsicherung in der Bevölkerung gross ist. Wie steht es vor diesem Hintergrund ums Thema Bauen in der Schweiz?
Philipp Berger: Immer noch sehr gut. Erstaunlicherweise.
Aber Covid-19 hat auch die Baustellen in Beschlag genommen.
Ja. Sämtliche Handwerker müssen mit Maske arbeiten. Aber ansonsten würde ich die Baubranche als nicht weiter eingeschränkt bezeichnen.
Weshalb ist die Nachfrage ungebremst?
Wo, wenn nicht in Immobilien, soll Geld heute investiert werden? Es fehlen doch die Alternativen.
Demgegenüber zeigen aber Umfragen wie das Sorgenbarometer, dass die Leute vor den Auswirkungen der Corona-Pandemie auch wirtschaftlich Angst haben. Wäre da nicht mehr Zurückhaltung angesagt?
Eigentlich erwarten wir genau diesen Effekt seit April 2020, spüren aber davon bis heute nichts. Die sicherste Variante, Geld anzulegen, sind nach wie vor Immobilien. Einen Rückgang spüren wir lediglich bei den Grossbaustellen, also den ganz grossen Projekten mit Mietwohnungen. Da ist der Markt übersättigt – das Thema Eigenheim bleibt attraktiv.
«Das urbane Leben ‹beisst sich› ein Stück weit mit Homeoffice.»
Immer häufiger wird im Homeoffice gearbeitet. Wie haben sich vor diesem Hintergrund die Wünsche punkto Eigenheim-Ausstattung verändert?
Wir verspüren den Wunsch, dass es einem zu Hause gut gehen soll – entsprechend steht das Thema Luxus zunehmend im Fokus. Diejenigen, die bereits ein Eigenheim haben, beginnen nun damit, dieses zu «vergolden» – es wird ein Pool geplant oder ein Jacuzzi eingebaut. Das Homeoffice soll so schön wie möglich werden. Das hat einerseits wieder mit dem Investitionsthema zu tun, andererseits aber auch mit der Tatsache, dass man ja kaum noch weggehen kann. Wir zählen einen Poolbauer zu unserem Kundenkreis: Er hatte noch nie in seiner Karriere derart viele Aufträge; er ist auf zwei Jahre hinaus ausgebucht.
Und was passiert mit Blick aufs eigentliche Homeoffice, also den Büro- oder Arbeitsraum?
Es wird umgebaut: Entweder, wo möglich, vergrössert oder die Raumaufteilung angepasst. Es zeigt sich, dass gerade bei Familien mit kleinen Kindern sich der Aufwand für eine Art «Abschottung» des Homeoffice-Arbeitsplatzes lohnt. Bei dieser Umnutzung von bestehendem Volumen ist der Innenarchitekt gefragt; ein Know-how, das wir ebenfalls anbieten.
Hat Corona neue Trends gesetzt oder zumindest verstärkt?
Der Wunsch nach einem Einfamilienhaus war immer schon gross, dieser ist durch das Corona-Jahr noch einmal grösser geworden. Dabei zeigt sich, dass es die Leute vermehrt aufs Land zieht. Das urbane Leben «beisst sich» ein Stück weit mit Homeoffice: Dort werden in aller Regel nur noch Miniatur-Balkone geplant, man sitzt aufeinander. Diesen Trend «raus aus der Stadt» spüren wir – etliche Landgemeinden haben regelrecht Aufwind erhalten.
Jetzt kommt also jemand mit dem Wunsch zu Ihnen, ein Eigenheim zu erstellen. Wessen muss sich der Kunde bewusst sein, wann erhebt der Architekt den Mahnfinger?
Zunächst gibt es Fälle, bei denen Realisierungswünsche des Kunden auf der zur Verfügung stehenden Parzelle wegen des Baugesetzes gar nicht erfüllt werden können. Hier ist schweizweit ein Wandel im Gange: Anstelle der bisherigen Ausnützungsziffer verwenden einige Kantone bereits die Überbauungsziffer (siehe Infobox unten), um den Nutzungsgrad auf einer Parzelle anzugeben. Einfamilienhäuser zu bauen wird zunehmend schwieriger …
… darauf kommen wir gleich beim Thema Preisniveau nochmals zurück – bleiben wir noch kurz beim Mahnfinger des Architekten.
Wir geben immer eine Checkliste ab, die der Kunde unterschreiben muss. Für mich einer der wichtigsten Punkte: Bauen ist zeitintensiv, dessen muss man sich unbedingt bewusst sein. Es reicht nicht, wenn ich als Bauherr oder Bauherrin nur jeweils abends ab 17 Uhr und amWochenende Zeit habe. Und die Bauherrschaft muss sich von uns in der Funktion als Treuhänder des Kunden führen lassen.
«Im Markt für Wohneigentum sehe ich keine Korrekturen, das Preisniveau wird gehalten – eher noch teurer.»
Kommen wir also zurück auf das Thema Nutzungsgrad: Das würde ja als Konklusion darauf schliessen lassen, dass sich preislich im Immobilienmarkt auch weiterhin keine Korrektur nach unten abzeichnet?
Wie schon vorhin erwähnt, muss sich die Masse der Mietwohnungen korrigieren – das sieht man nur schon am Leerwohnungsbestand, selbst in Zentren. Aber im Markt für Wohneigentum sehe ich keine Korrekturen, das Preisniveau wird gehalten werden – eher noch teurer.
Getrieben durch die Raumplanungsgesetzgebung, die Einfamilienhäuser zunehmend erschwert?
Ja. Die Ausnützungsziffer wird, wie bereits erwähnt, durch den sogenannten «Fussabdruck» ersetzt, den eine Immobilie auf einer Parzelle hinterlässt: Je höher gebaut wird, desto kleiner wird der Fussabdruck, desto mehr Grenzabstand wird nötig. Bis 2023 wird diese Änderung gesamtschweizerisch vollzogen sein. Einfamilienhäuser im Kontext der Verdichtungsthematik als Landverschwendung; es gibt heute bereits Gemeinden, die in einzelnen Parzellen das Bauen von Einfamilienhäusern unterbinden, weil eine einzige Familie quasi zu viel Land verschwenden würde. Aber es gibt natürlich auch Parzellen, bei denen das neue Baugesetz Vorteile bringt.
Das Bauen von grösseren Objekten macht die Aufträge für Architekten attraktiver.
(lacht) Ja und nein. So einfach ist die Gleichung nicht. Aber es ist Fakt, dass Einfamilienhäuser zum raren Gut mutieren – Land, auf dem ein solches erstellt werden darf, findet man fast nicht mehr. Nicht zu vergessen: Bei Mehrfamilienhäusern reden wir dann von zwei, drei oder vier Parteien – keine Grossobjekte.
Gehen wir einen Schritt weiter: Das Bauprojekt wurde bewilligt. Welche Trends sehen Sie als Architekt über die vergangenen ein, zwei Jahrzehnte?
Mehr Fläche. Früher war ein Wohnzimmer 30 Quadratmeter gross, heute müssen es 50 sein. Ein Kinderzimmer misst nicht mehr 11 Quadratmeter, sondern vielleicht 15 oder sogar noch mehr. Dazu kommen pro Objekt mehr Nasszellen: Wo früher ein Bad und ein Tages-WC ausreichend waren, braucht es heute im Minimum zwei Bäder und ein Tages-WC. Eines der Bäder dann in der Regel kombiniert mit einem sogenannten Master-Room-Konzept, das auch Schlafzimmer und Ankleide umfasst.
Und das Ganze energieeffizient.
Selbstverständlich. Stichworte sind Minergie, Niedrigenergie, Energie-Plus-Bauten – ein Riesenthema. Photovoltaik ist zum Muss geworden. Dazu steigt der Marktanteil von Bauten mit Holz. Dieses Material verbessert einerseits die Ökobilanz, da es im eigenen Land wächst – und es schafft zudem ein angenehmes Wohnklima. Ebenfalls gegen aussen sichtbar ist natürlich der Trend zum Flachdach, der meines Erachtens weiterhin anhalten wird. Dadurch wird eine klare Formensprache geschaffen. Was aber im Umkehrschluss nicht heissen soll, dass das Schrägdach «ausstirbt».
Innovatives aus der Zentralschweiz
«Wir setzen Räume in Szene.» Hinter diesem Versprechen steht die BF architekten sursee AG, deren Ursprung auf das Jahr 2001 zurückgeht. Reto Frank und Philipp Berger gründeten die BF berger + frank AG, starteten in einer Einlegerwohnung – und bezogen erst drei Jahre später «echte» Büroräumlichkeiten im Dorfkern von Eich. Heute zählt das Team 26 Mitarbeitende in Sursee und vier in Luzern (BF architekten luzern AG). Das Firmengebäude in Sursee vereint modernste Technologien mit Freiräumen für Entspannung und kreative Pausen der Mitarbeitenden. Der gelernte Hochbauzeichner Berger (dipl. Architekt FH, dipl. Bauleiter) ist zudem Präsident des WIR-Partner-Networks Zentralschweiz.
Volksentscheid «pro Fussabdruck»
Fast sieben Jahre ist es her, seit das Schweizer Stimmvolk am 1. Mai 2014 ein neues Raumplanungsgesetz gutgeheissen hatte. Primäres Ziel: ein haushälterischer Umgang mit dem Boden. Die Kantone haben seither Richtpläne sowie Planungs- und Baugesetze angepasst – bis spätestens Ende 2023 müssen nun auch die Gemeinden folgen. Eine zentrale Änderung bei der Messweise betrifft den Wechsel von der Ausnützungs- zur Überbauungsziffer, dem sogenannten «Fussabdruck» auf einer Parzelle. Tendenziell führt dies dazu, dass dort, wo dies heute noch möglich ist, keine Einfamilienhäuser mehr bewilligt werden dürfen, sondern an deren Stelle Mehrparteienobjekte geplant werden müssen.
Artikelfoto: Pius Galliker / Objektbilder: BF architekten sursee AG
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