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«Die Banken müssen sich ändern, rasch und drastisch!»

11 min.
Flury

von Daniel Flury

22 Beiträge

Rino Borini ist einer der führenden Schweizer Experten auf dem Gebiet von Digital Finance. Er ist auch Mitgründer und CEO des Medienunternehmens financialmedia AG, welches unter anderem das Wirtschaftsmagazin Punkt herausgibt. Im Interview zeigt er auf, was der Kunde heute von seiner Bank erwartet – und dass es Banken vielleicht bald nicht mehr braucht.

Die WIR Bank positioniert sich neu und setzt konsequent auf Digitalisierung – zu spät, zu früh, gerade rechtzeitig?
Rino Borini:
Der digitale Schnellzug fährt noch nicht mit voller Geschwindigkeit. Doch der Lokführer beschleunigt unablässig. Wenn die WIR Bank eine Gesamtstrategie entworfen hat, die in die heutige digitale Ära passt, und diese konsequent umsetzt, dann ist der Zeitpunkt jetzt richtig. Das heisst aber: Nicht zurücklehnen, sondern auf den Zug aufspringen und sich auf die anspruchsvolle Reise freuen. Wichtig ist, dass die WIR Bank es schafft, alle Mitarbeitenden zu begeistern. Digitalisierung ist eine riesige Herausforderung, aber auch eine tolle Chance. Sowohl als Bank wie als Mitarbeitende kann man sich Wettbewerbsvorteile verschaffen.

Was ist Ihre Einschätzung: Haben die Bankkunden nur darauf gewartet, dass Banken die digitale Transformation der Finanzwelt vorantreiben, oder überfordern die Banken ihre angestammte Kundschaft?
Es ist komplett umgekehrt. Es sind die Banken, die überfordert sind. Denn die Kunden sind es, die den Druck erhöhen und ein anderes Banking erwarten. Banking wird digital und «social» und kommt in die Hosentasche. Schauen Sie doch, wie wir heute News konsumieren, wie wir unsere Ferien buchen, wie wir mit Freunden von unterwegs kommunizieren oder wie wir einkaufen und uns inspirieren lassen. Fast alles läuft digital! Und warum sollen wir gewisse Banking-Themen nicht auch digital abwickeln? Und ganz wichtig: Die junge Generation hat eine Bank noch nie von innen gesehen. Sie ist mit Google & Co. aufgewachsen. Die heute 15-Jährigen erreicht man nicht einmal mehr via Facebook, sondern via Snapchat. Das sind Kunden von morgen. Sind Bankmanager schon mal auf Snapchat gewesen?

Sie unterrichten Digital Finance an der Hochschule für Wirtschaft Zürich. Was ist der Inhalt dieses Kurses?
Wie viel Zeit haben Sie? – Ich halte mich kurz. Der Lehrgang ist breit gefächert, dauert insgesamt 18 Tage – verteilt auf ein Semester – und wird mit dem Certificate of Advanced Studies (CAS) Digital Finance abgeschlossen. Wir wollen das digitale Leadership-Denken fördern, wir möchten neue Technologien verstehen und wissen, wie altbekannte Bankdienstleistungen in Zukunft von Kunden genutzt werden. Ganz wichtig ist die neue Denkhaltung. Digitalisierung bedeutet: Es geht schnell, sehr schnell, exponentiell! Und man muss sich anpassen können. Dies wollen wir den Studenten beibringen, damit sie in ihrem Job neue Impulse einbringen können.

Aus welchem Umfeld stammen Ihre Studenten – hat es darunter auch Banker alter Schule, die die Zeichen der Zeit erkannt haben?
Es geht querbeet. Die jüngste Studentin ist knapp 30, der älteste 55 Jahre alt. Wir haben Studenten aus Regional-, Kantonal-, Privat- und Grossbanken und aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Allesamt haben die Studenten etwas gemeinsam: Sie wollen eine Stimme haben. Deswegen heisst das inoffizielle Programm bei mir: «Digital Banking Rockstar». Denn die Studenten wollen die Transformation, die tiefgreifend sein wird, aktiv mitgestalten, und dafür brauchen sie eben eine Stimme wie ein Rockstar. Letztlich sollen die Absolventen Wettbewerbsvorteile generieren, denn es ist Fakt, dass es im Banking zu einem Arbeitsplatzabbau kommen wird. Diejenigen, die sich für das Thema Digitalisierung begeistern können, haben auch künftig viel Potenzial.

In Ihrem Kurs geht es auch um die Zusammenarbeit zwischen den traditionellen Finanzinstituten und  unabhängigen Fintech-Unternehmen. Kann man wirklich von Zusammenarbeit sprechen? Ist es nicht eher so, dass Grossbanken oder ganze Konsortien von Grossbanken die innovativsten Player auf dem Gebiet des Digital Banking einfach aufkaufen, um dann das Innovationstempo auf das ihnen genehme Niveau zu drosseln?
Es gibt zwei Seiten. Einerseits gibt es Fintechs, die einen Alleingang versuchen. Wenigen gelingt es, zum Teil aber schon sehr erfolgreich. Andererseits geht es um die Zusammenarbeit zwischen Start-ups und Banken. Denn Banken haben per se ein Innovationsproblem, und das lösen sie nicht, solange die Strukturen nach Schema «old world» gesetzt sind. Nehmen wir die UBS. Ein 150 Jahre altes Unternehmen arbeitet bereits in gewissen Bereichen sehr eng mit Fintechs zusammen, einige davon gab es vor drei Jahren noch nicht einmal. Würde nun eine Grossbank ein solches Jungunternehmen kaufen und sich einverleiben, dann wäre die Innovation tot. Grund dafür sind allein die bankinternen Strukturen, die veraltete Führungs- und Meetingkultur oder auch der interne Dieselmotor, d. h. das IT-System, das wenig Innovation zulässt. Folglich ist es intelligenter, wenn eine Bank überlegt, in welchen Teilbereichen sie dem Kunden einen Mehrwert bieten kann und dann eine enge Kooperation mit einem Fintech-Unternehmen eingeht. Dann profitieren alle: Die Bank, das Jungunternehmen und letztlich – und das ist das Hauptziel – der Kunde. Es geht um den Kunden und um nichts anderes. Das haben noch nicht alle Banken-CEO wirklich verstanden, sonst würden sie sich anders verhalten.

Sie vertreten die These Bill Gates’ – andere sind der Meinung, sie stamme vom früheren Wells-Fargo-CEO Richard Kovacevich –, wonach es keine Banken, sondern Bankdienstleistungen braucht («Banking is necessary, banks are not») – solche können auch Firmen wie Valora, Apple, Google, Facebook, Amazon oder Crowdfundingplattformen erbringen. Gibt es Grenzen, und geht das nicht einher mit Einbussen bezüglich Sicherheit, Zuverlässigkeit oder im Vertrauensverhältnis?
Sie bringen einen wichtigen Punkt ins Spiel: Sicherheit und Vertrauen. Das ist eine Stärke der Banken, und diesen Trumpf können sie ausspielen. Aber sie müssen sich bewegen! Der Kunde will ein anders, effizienteres, schnelleres, faireres Banking. In einem Wort ausgedrückt: Der Kunde will ein neues Kundenerlebnis haben. Aber dieses Bedürfnis können oftmals andere Unternehmen besser erfüllen: Valora bietet Kredite am Kiosk an, Apple hat Mobile Payment, und irgendwann wird man via Facebook Geld verschicken können. Aber insbesondere wir Schweizer wollen Sicherheit und Vertrauen, und hier können die Banken trumpfen – aber sie müssen sich ändern, ziemlich rasch und ziemlich drastisch.

Spätestens seit der letzten Bankenkrise ächzen die Finanzinstitute unter immer neuen und schärferen regulatorischen Vorschriften. Haben diese kein Abschreckungspotenzial für branchenfremde Unternehmen, die Bankdienstleistungen erbringen wollen?
Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Die jungen Wilden gehen damit ganz anders um. Sie kämpfen mit Leidenschaft, eine Leidenschaft, die oft im klassischen Banking verloren gegangen ist. Wichtig ist zu verstehen, dass die Gesetze für alle gelten. Doch was passiert in London, Singapur oder Hongkong – übrigens auch bald in der Schweiz? – Die Regulatoren passen sich der neuen Zeit an! Banken, die meinen, sie können sich hinter den strengen Regularien verstecken, verlieren. Wir reden von sogenannten Sandboxes, also legalen Experimentierfeldern – Banklizenzen light – ausserhalb der gültigen Standards. Sie bieten neuen Anbietern ideale Startvoraussetzungen. Und sind sie einmal fit genug und haben Kunden überzeugen können, dann kommen sie auf die nächste Ebene. Oder schauen Sie nach London. Dort hat die Regierung ein neues Gesetz erlassen, das Banken zwingt, sozusagen auf Knopfdruck Kundenbeziehungen auf ein anderes Unternehmen zu übertragen, wenn der Kunde das will. Das ist ein Game-Changer.

Alles spricht von Bitcoins. Die Einwohnerkontrolle der Stadt Zug wird weltweit zum Bitcoin-Pionier erhoben, weil man dort in einem Pilotversuch seit 1. Juli und bis Ende Dezember Gebühren bis 200 Franken in dieser Kryptowährung begleichen kann. Wir haben in Zug nachgefragt: Nach einem Monat gingen nicht mehr als eine Handvoll solcher Zahlungen ein, und wegen Stempeln, Unterschriften und zum Abholen z. B. von Identitätskarten muss man immer noch am Schalter vortraben. Das tönt nicht sehr futuristisch …
Es geht nicht darum, ob 10 oder 1000 Leute das nutzen. Erstens ist Bitcoin gar noch nicht in der breiten Bevölkerung angekommen, auch weil viele Medien ein verzerrtes Bild davon vermitteln. Zweitens, und das ist der Hauptpunkt, ist die Zuger Initiative eine Marketingaktion. Wir Schweizer müssen endlich mal lernen, uns besser zu verkaufen. Das machen z. B. die Angelsachsen vorbildlich. Und Zug macht es genau richtig, denn Zug ist das Crypto Valley der Welt – das muss man sich mal vor Augen führen! Hier in der Schweiz passiert ganz viel, doch niemand redet darüber. Wir sprechen hier von einer Technologie, die fast alle Branchen massiv umkrempeln kann. Das, was hinter Bitcoin steckt, ist eben diese revolutionäre Technologie, die Blockchain. Darum: Eine tolle Aktion der Regierung von Zug. Ich würde mir wünschen, dass auch der Bund mutiger auftreten würde, aber unsere Bundesräte gehen lieber an die Olma oder an die Muba …

Blockchain ist eine Technologie, um z. B. Bitcoins von Person zu Person zu transferieren. Für die meisten von uns ist die Funktionsweise eine Black box. Können Sie in wenigen Sätzen diese Black box erhellen?
Nun, wer weiss schon, welche Technologie z. B. hinter E-Mail steht? Oder wer kann mir smtp, pop, imap in wenigen Sätzen erklären? Trotzdem hier mein Erklärungsversuch zu Blockchain: Es ist so, dass bislang jeder, der Geld überweisen wollte, eine Bank brauchte. Sie wickelt die Zahlung ab und prüft, ob alle nötigen Daten stimmen. Die Blockchaintechnologie macht genau dasselbe – nur vollautomatisch, schneller und billiger. Sie ersetzt somit die Bank. Vorstellen kann man sich die Blockchain als eine Art Superdatei, die alle Transaktionen, die über ihr System abgewickelt werden, erfasst. Der Unterschied: Im Mittelpunkt steht nicht ein zentraler Server – vielmehr wird alles gleichzeitig auf den Computern aller Teilnehmer überprüft, gespeichert und dort laufend aktualisiert. Wissen und Verantwortung werden also an Maschinen delegiert und von ihnen geteilt. Manipulation ist auf diese Weise kaum möglich: Kriminelle müssten sich dazu nicht nur in einen, sondern gleich in alle angeschlossenen Computer hacken!

Sie sagen Blockchainvorgänge könnten kaum gefälscht oder manipuliert werden. Gibt es tatsächlich keine Gefahren?
Doch, natürlich gibt es Gefahren. Aber ändern wir mal den Blickwinkel: E-Mail gibt es seit rund 30 Jahren – und ist E-Mail zu 100 Prozent sicher? Nein! Auch heute noch fallen viele Leute auf Betrugs-E-Mails herein oder E-Mail-Adressen werden missbraucht. Da sagt niemand etwas, man weiss es einfach. Blockchain ist eine extrem junge Technologie, die Zeit braucht. Natürlich finden immer wieder Betrüger Wege, um zu fälschen oder zu manipulieren. Das ist normal. Da dies alles sehr jung ist und der Mensch per se mit Neuem Schwierigkeiten hat, wird oft alles zuerst einmal als Gefahr abgestempelt. Es braucht Zeit, bis sich diese Technologie entwickelt hat. Parallel dazu entstehen Sicherheitssysteme, neue Regularien usw. Auch hier: Wir sollten endlich einmal unseren Technologie-Skeptizismus ablegen!

Sicher, schnell, billig, fair – ein anderes Merkmal von Blockchain ist, wie Sie erwähnt haben, dass die Transaktionen öffentlich sind: Jeder sieht, wohin die Bitcoins, SETLcoins oder Citicoins fliessen und wer wie viel davon hat. Ist das der Anfang vom Ende jeglicher Form von Bankgeheimnis?
Das Bankgeheimnis ist schon lange tot. Das hat übrigens Hans J. Bär, ehemaliger Chef der Bank Julius Bär, bereits 2004 indirekt gesagt. Damit müssen wir uns abfinden. Die Gefahr des gläsernen Kunden besteht. Wir hinterlassen ja überall digitale Spuren, das beginnt schon mit der Cumulus-Karte. Das sind ganz neue Themen – Privacy, digitale Identität etc. –, die uns künftig beschäftigen.

In der Schweiz gibt es Politiker, die sich stark dafür machen, das Bankgeheimnis in der Verfassung zu verankern. Sinnloser Leerlauf oder kluger Schachzug?
Politische Themen überlasse ich den Politikern. Ich als Rino Borini gebe dann privat, in Form meines Abstimmungszettels, meine Meinung ab. Zuerst sollen diese Damen und Herren eine Initiative erfolgreich umsetzen und das Volk überzeugen, dann schauen wir weiter. Ganz grundsätzlich: Ich erwarte schon auch – wie beim Arzt oder Anwalt –, dass meine Privatsphäre in Bezug auf meine Vermögenssituation geschützt ist. Wie das künftig aussehen soll? – Da bin ich offen.

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