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Arbeitslosengelder: Bald auch für Unternehmer?

15 min.
Flury

von Daniel Flury

22 Beiträge

Am 13. Juni hat der Nationalrat als Erstrat beschlossen, dass künftig auch Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung Arbeitslosengeld erhalten, wenn sie zuvor in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt dem Unternehmer und WIR-Partner François Cochard. Das letzte Wort hat der Ständerat im Herbst.

Vor 14 Jahren musste François Cochard (WIRmarket.ch) einen herben Rückschlag als Unternehmer einstecken. Seine zusammen mit vier Kollegen gegründete GmbH, die während mehrerer Jahre Kulturveranstaltungen organisiert hatte, geriet in den Sog des Unglücks an der Loveparade in Duisburg. 2010 starben dort in einem Gedränge 21 Menschen. Anderen geplanten Festivals – darunter demjenigen Cochards – wurden in der Folge aus Sicherheitsgründen die Bewilligungen entzogen. In der Gewissheit, dass sein Anlass auch in naher Zukunft nicht durchgeführt werden kann, zog François Cochard die Notbremse und gab seine Stelle auf. Da er jahrelang Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hatte, meldete er sich arbeitslos und rechnete mit entsprechenden Geldern. Doch weit gefehlt: Als Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH befand er sich laut Gesetz in einer arbeitgeberähnlichen Stellung und hatte keinen Anspruch auf Arbeitslosengelder. «Die Folgen waren katastrophal», so François Cochard, «mein ganzes Vermögen hatte ich in die Firma investiert, ich stand vor dem Nichts.» Vor dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich versuchte er seinen Anspruch durchzusetzen und bekam Recht. Aber der Kanton Zürich zog das Urteil ans Bundesgericht. François Cochard: «Dieses hob nicht nur das erste Urteil auf, sondern füllte mit seinem Urteil auch die bestehenden Gesetzeslücken in höchst fragwürdiger Form.»

Politik eingeschaltet

Cochard liess nicht locker und legte 2017 sein Anliegen dem GLP-Nationalrat Jürg Grossen vor, der einen entsprechenden Vorstoss einreichte. Allerdings behandelte ihn das Parlament nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist von zwei Jahren, und so fiel das Anliegen aus den Traktanden. Erneut aufgegriffen wurde die Problematik von FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt. In einer parlamentarischen Initiative forderte er im März 2020, «dass Unternehmerinnen und Unternehmer, die Beiträge in die Arbeitslosenversicherung bezahlen müssen, im Falle einer Arbeitslosigkeit denselben Entschädigungsanspruch haben wie alle anderen Angestellten einer Unternehmung». Die geltende Situation sei ungerecht und widerspreche dem Gedanken einer Versicherung, wo eine Kongruenz zwischen Beitragszahlenden und Leistungsbeziehenden herrsche. Deshalb sei das Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (Arbeitslosenversicherungs­gesetz AVIG) entsprechend anzupassen.

Bundesrat stellt sich quer

Dieses Mal begannen die Mühlen des Parlaments zu mahlen. Die Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats stimmte der Initiative schon im Mai 2020 deutlich mit 18 zu 7 Stimmen zu, diejenige des Ständerats etwas knapper im August 2021 mit 7 zu 5 Stimmen. Ein Vorentwurf und Umsetzungsvarianten folgten, und in der Vernehmlassung von 2023 konnten 61 Behörden und Organisationen Stellung beziehen.

Danach schlug die Stunde des Bundesrats. Dieser übernahm die Argumentation von 22 Kantonen aus der Vernehmlassung und befand im April 2024, es sei nicht das Ziel der Arbeitslosenversicherung, unternehmerische Risiken abzufedern. Mit diesem Hauptargument sprach sich der Bundesrat gegen den Vorstoss und für die Beibehaltung des Status quo aus. Die Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats nahm im Mai dieses Jahres von der ablehnenden Stellungnahme des Bundesrats Kenntnis und überwies die Vorlage zur Behandlung in der Sommersession an den Nationalrat.

Arbeitslosengelder

Zufriedene Gesichter nach der Abstimmung im Nationalrat: Nationalrat Andri Silberschmidt (l.) und Unternehmer François Cochard. Foto: zVg

«Es braucht Willen, Ausdauer und Zeit»

Interview mit François Cochard und Nationalrat Andri Silberschmidt

Herr Cochard, am 13. Juni hat der Nationalrat als Erstrat die parlamentarische Initiative von Nationalrat Andri Silberschmidt und damit Ihr Anliegen behandelt und mit 126 zu 63 Stimmen angenommen. Dies gegen die Ansicht des Bundesrates und gegen die Stimmen der SVP. Haben Sie diesen Entscheid erwartet?

François Cochard: Die meisten Parteien signalisierten im Vorfeld ihre Unterstützung. Doch es war ungewiss, ob auch in den Detailfragen eine Einigung zustande kommt. Extrem enttäuscht bin ich von der SVP, die dagegen war. Einerseits brüstet sie sich als Gewerbe-Partei und lehnt dann ein Anliegen ab, das staatliche Abzockerei bei KMU beendet. Andererseits will sie steuerfinanzierte Staatsleistungen reduzieren, findet es dann aber in Ordnung, wenn Betroffene statt versicherungsfinanzierte Arbeitslosengelder steuerfinanzierte Sozialhilfe erhalten. Das macht keinen Sinn.

Der Nationalrat hat mit seinem Entscheiddem Bundesrat klar widersprochen …

François Cochard: Zu Recht, denn die Argumentation des Bundesrats ist widersprüchlich. So geht es auch nicht um die Abfederung von unternehmerischen Risiken, sondern um die persönlichen Risiken der Arbeitnehmenden, welche die ALV abzudecken hat. Und hier unterscheidet sich der Unternehmer – bzw. eben der Angestellte in arbeitgeberähnlicher Stellung – nicht vom «normalen» Angestellten. Denn beide bezahlen eine Versicherungsprämie, um gegen dieses Risiko versichert zu sein.

Es ist offensichtlich, dass der Bundesrat und die meisten Kantone seit Jahren jede Veränderung blockieren. Selbst die Corona-Pandemie, während der das lückenhafte System für viele Unternehmen zum Problem wurde, hat nicht zu Einsicht und Verbesserungen geführt.

In diesem Zusammenhang sei nicht unerwähnt, dass die Arbeitslosenversicherung in allen Unterlagen behauptet, dass unternehmerisch agierende Angestellte anspruchsberechtigt sind. Aber weder Bundesrat noch der Zürcher Regierungsrat oder die Direktion für Arbeit waren auf Anfrage in der Lage zu sagen, was Betroffene denn tun müssen, um die Leistungen zu erhalten.

Eine Kommissionsminderheit hatte einen Alternativvorschlag ins Spiel gebracht, nämlich die Befreiung von der ALV-Beitragspflicht für Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung. Wäre das für Sie auch ein gangbarer Weg gewesen?

Francois Cochard: Ja, grundsätzlich ist das eine erwägenswerte Alternative. Entscheidend ist, dass eine faire Lösung entsteht. In diesem Sinne wäre es auch fair, dass alle, die von ALV-Leistungen ausgeschlossen sind, keine Beiträge mehr bezahlen. Die Umsetzung dieser Idee würde aber zu viele Schwierigkeiten bergen und auch eine deutlich höhere Missbrauchsgefahr mit sich bringen.

Herr Silberschmidt, Sie waren die treibende Kraftim Nationalrat. Was hat Sie dazu bewogen, das Anliegen von François Cochard aufzugreifen?

Andri Silberschmidt: Mein FDP-Kollege und Kantonsrat Marc Bourgeois hat mich kurz nach meiner Wahl im Jahr 2019 auf die heutige Problematik aufmerksam gemacht. Da ich selbst Unternehmer bin, kann ich die unfaire Situation gut nachvollziehen. Weil bisherige parlamentarische Vorstösse am Widerstand des Bundesrats gescheitert sind, habe ich deshalb den Weg der parlamentarischen Initiative gewählt. Es freut mich, dass vier Jahre nach Einreichung der Initiative nun ein konkreter Gesetzesentwurf zur Abstimmung im Nationalrat vorliegt.

Die Kantone haben sich in der Vernehmlassung mit grosser Mehrheit gegen eine Veränderung ausgesprochen – ein böses Omen für die Abstimmung im Ständerat im Herbst?

Andri Silberschmidt: Eine Unterstützung der Kantone wäre wünschenswert gewesen. Da die Kantone aber nicht finanziell von der Vorlage betroffen sind, gehe ich nicht davon aus, dass ihre Skepsis dazu führen wird, dass der Ständerat das Anliegen nicht genau prüfen wird. Erste Gespräche mit Ständerätinnen und Ständeräten stimmen mich verhalten optimistisch.

Werden Sie unter den Ständeräten für Ihr Anliegen lobbyieren?

Andri Silberschmidt: Ja!

Falls der Ständerat ebenfalls grünes Licht gibt und es zu einer Gesetzesänderung kommt, muss die ALV in der Folge personell aufstocken? Und mit welchen finanziellen Konsequenzen müsste gerechnet werden?

Andri Silberschmidt: Davon gehe ich nicht aus. Zum Glück gibt es sehr wenige Unternehmerinnen und Unternehmer, die arbeitslos werden. Jedoch ist für mich klar, dass die, welche jahrelang in die ALV einbezahlt haben, auch einen Anspruch auf Entschädigung haben müssen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihrem Vorstoss gemacht?

François Cochard: Es ist eine grossartige Erfahrung, dass man auch als einzelner Bürger in der Schweiz eine Systemveränderung initiieren kann. Unsere Demokratie funktioniert sehr gut. Es braucht einfach einen Willen, sehr viel Ausdauer und Zeit. Konkret hat es 12 Jahre Arbeit gebraucht, um an diesen Punkt zu gelangen. Entscheidend dabei ist, die richtigen Parlamentarier zu finden, die das Problem verstehen und es wirklich lösen wollen. Und letztendlich auch eine Mehrheit dafür gewinnen können. Andri Silberschmidt hat mit der parlamentarischen Initiative und seinem Einsatz den Durchbruch auch gegen den Widerstand des Bundesrates herbeigeführt. Ihm gebührt damit ein sehr grosser Dank.

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